Himmlische Wunder
wäre ich eine Fremde. Das Krankenhaus lag ganz am Rand von Rennes, und während ich neben Rosette wartete, kam ein Priester vorbei, um mit mir zu sprechen und um seiner Überraschung darüber, dass ich meine Tochter nicht im Krankenhaus taufen lassen wollte, Ausdruck zu verleihen.
Er war ein ruhiger, freundlicher Mann, aber auch nicht anders als die anderen Vertreter seines Berufsstandes: routinierte Trostesworte und Augen, die nur das Jenseits sehen, aber nicht die Welt hier. Ich tischte ihm meine übliche Geschichte auf: Ich sei Madame Rocher, verwitwet und unterwegs zu Verwandten, bei denen ich wohnen würde. Er glaubte mir nicht, das merkte ich, denn er musterte Anouk misstrauisch und beäugte Rosette mit wachsender Sorge. Vielleicht kommt sie nicht durch, sagte er ernst. Er fragte mich, ob ich es verantworten könne, sie ungetauft sterben zu lassen?
Ich schickte Anouk in eine Pension in der Nähe, während ich mich langsam erholte und auf Rosette aufpasste. Die Pension war in einem winzigen Dorf, einem Ort namens Les Laveuses, an der Loire. Dorthin floh ich vor dem wohlwollenden alten Priester, denn Rosettes Kräfte schwanden und seine Forderungen wurden immer drängender.
Wohlwollen kann nämlich genauso mörderisch sein wie Grausamkeit. Der Priester, er hieß Père Leblanc, hatte begonnen, Nachforschungen anzustellen, ob ich wirklich Verwandte in der Gegend hatte und wer auf meine ältere Tochter aufpasste und wo sie in die Schule ging und was aus dem imaginären Monsieur Rocher geworden war – und dass seine Nachforschungen ihn irgendwann zur Wahrheit führen würden, daran hatte ich keinen Zweifel.
Also nahm ich eines Morgens Rosette und floh mit ihr in einem Taxi nach Les Laveuses. Die Pension war billig und unpersönlich, ein Zimmer mit Gasheizung und einem Doppelbett, dessen Matratze fast bis zum Boden durchhing. Rosette wollte immer noch nicht trinken, und sie weinte und maunzte jämmerlich. Es klang wie das Echo des heulenden Windes. Noch schlimmer war, dass manchmal ihr Atem aussetzte. Es dauerte oft fünf oder zehn Sekunden, bis er wieder einsetzte, mit einem Glucksen und einem Schniefen, als hätte mein Kind sich doch entschieden, wieder ins Land der Lebenden zurückzukehren, wenigstens vorübergehend.
Wir blieben noch zwei Nächte in der Pension. Das neue Jahr kam immer näher und mit ihm der Schnee, er bestäubte die schwarzen Bäume und die Ufer der Loire mit bitterem Zucker. Ich suchte nach einer anderen Bleibe und fand eine Wohnung über einer kleinen Crêperie, die von einem älteren Paar geführt wurde, von Paul und Framboise.
»Die Wohnung ist nicht sehr groß, aber warm«, sagte Framboise, eine energische kleine Dame mit brombeerschwarzen Augen. »Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn Sie ein bisschen auf das Haus aufpassen. Wir haben im Winter geschlossen – hier gibt es keine Touristen –, deshalb brauchen Sie sich keine Sorgen machen, Sie könnten vielleicht jemanden stören.« Sie musterte mich aufmerksam. »Das Baby«, sagte sie schließlich. »Es weint wie eine Katze.«
Ich nickte.
»Hm.« Sie schnaubte. »Sie sollten etwas tun.«
»Was meint sie damit?«, fragte ich Paul, als er uns später die kleine Zweizimmerwohnung zeigte.
Paul, ein sanfter alter Mann, der selten den Mund aufmachte, schaute mich nur an und zuckte die Achseln. »Sie ist abergläubisch«, sagte er. »Wie viele alte Leute hier in der Gegend. Nehmen Sie es sich nicht zu sehr zu Herzen. Sie meint es gut.«
Ich war zu müde, um weiterzuforschen. Aber nachdem wir uns einigermaßen eingerichtet hatten und Rosette angefangen hatte, wenigstens ein bisschen was zu trinken – obwohl sie immer noch sehr unruhig war und kaum schlief –, kam Framboise zu uns, um die sowieso schon makellose Küche zu putzen, und ich fragte sie, was sie mit ihrer Bemerkung gemeint hatte.
»Es heißt, ein Katzenbaby bringt Unglück«, sagte sie.
Ich lächelte. Sie klang genau wie Armande, meine liebe alte Freundin aus Lansquenet.
»Ein Katzenbaby?«, fragte ich.
»Ja. Ich habe schon öfter davon gehört, aber gesehen habe ich noch nie eins. Mein Vater hat immer gesagt, dass die Feen manchmal nachts kommen und ein Baby gegen eine Katze austauschen. Aber das Katzenbaby lässt sich nicht stillen. Das Katzenbaby schreit die ganze Zeit. Und wenn jemand das Katzenbaby ärgert, dann mischen sich sofort die Feen ein –«
Sie kniff drohend die Augen zusammen, dann lächelte sie plötzlich. »Das ist natürlich nur ein
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