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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Märchen«, sagte sie. »Trotzdem sollten Sie zum Arzt gehen. Das Katzenbaby sieht nicht richtig gesund aus, finde ich.«
    Das stimmte. Aber ich hatte schon immer meine Probleme mit Ärzten und Priestern, und deshalb wollte ich den Rat der alten Frau eigentlich nicht befolgen. Es vergingen noch drei Tage, Rosette maunzte und keuchte die ganze Zeit, und schließlich sprang ich über meinen Schatten und ging zu dem Arzt im nahegelegenen Angers.
    Der Arzt untersuchte Rosette gründlich. Es seien noch weitere Tests nötig, verkündete er am Schluss. Aber wegen des charakteristischen Schreiens sei er eigentlich überzeugt, dass es sich um eine genetische Veranlagung handle, genannt Cri-du-chat , eine Bezeichnung, die von dem eigentümlich miauenden Schreien komme. Nicht tödlich, aber unheilbar, und mit Symptomen, die er als Arzt in diesem frühen Stadium nicht vorherzusagen wage.
    »Also ist sie wirklich ein Katzenbaby«, sagte Anouk.
    Es schien ihr zu gefallen, dass Rosette anders war. Sie war schon so lange ein Einzelkind gewesen und wirkte mit ihren sieben Jahren manchmal verblüffend erwachsen. Sie kümmerte sich um Rosette, überredete sie, aus der Flasche zu trinken, und schaukelte mit ihr in dem Schaukelstuhl, den Paul uns aus dem alten Bauernhaus gebracht hatte.
    »Katzenbaby«, sang sie leise und schaukelte auf und ab. »Schlaf, Katzenbaby, schlaf.« Und Rosette schien darauf zu reagieren. Das Schreien hörte auf – jedenfalls manchmal. Sie nahm zu. Sie schlief nachts drei bis vier Stunden am Stück. Anouk sagte, es sei die Luft von Les Laveuses, und stellte Untertassen mit Milch und Zucker für die Feen auf, falls sie vorbeischauten, um nach dem Katzenbaby zu sehen.
    Ich ging nicht mehr zu dem Arzt in Angers. Zusätzliche Tests würden Rosette nichts bringen. Stattdessen passten wir gut auf sie auf, Anouk und ich. Wir badeten sie in Kräutern, wir sangen für sie, wir massierten ihre dünnen Ärmchen und Beinchen mit Lavendel und Tigerbalsam und gaben ihr Milch mit einer Pipette (sie weigerte sich meistens, die Flasche anzunehmen).
    Ein Feenbaby , sagte Anouk. Auf jeden Fall war sie hübsch, so zart und fein mit ihrem schön geformten Kopf, den weit auseinanderliegenden Augen und dem spitzen Kinn.
    »Sie sieht sogar aus wie eine Katze«, sagte Anouk. »Pantoufle findet das auch. Stimmt’s, Pantoufle?«
    Ach ja, Pantoufle. Zuerst hatte ich gedacht, Pantoufle würde sich vielleicht verabschieden, wenn Anouk eine kleine Schwester hatte, um die sie sich kümmern konnte. Der Wind blies immer noch über die Loire, und wie der Mittsommer ist das Julfest eine Zeit der Veränderungen, eine unbehagliche Zeit für Reisende.
    Aber Rosettes Ankunft schien Pantoufles Präsenz eher zu verstärken. Ich merkte, dass ich ihn immer deutlicher sehen konnte. Er saß oft neben dem Bettchen, und er betrachtete die Kleine mit seinen schwarzen Knopfaugen, wenn Anouk sie wiegte und für sie sang, um sie zu beruhigen.
    V’là l’bon vent, v’là l’joli vent –
    »Die arme Rosette hat kein Tier«, sagte Anouk, als wir miteinander am Kamin saßen. »Vielleicht schreit sie deswegen die ganze Zeit. Vielleicht sollten wir ein Tier für sie rufen, das sich um sie kümmern kann, so wie Pantoufle sich um mich kümmert.«
    Ich lächelte, als ich das hörte. Aber sie meinte es ernst, und ich wusste, dass sie sich des Problems annehmen würde, wenn ich es nicht tat. Deshalb versprach ich ihr, dass wir es versuchen würden. Nur dieses eine Mal wollte ich das Spiel noch mitmachen. Wir waren in den letzten sechs Monaten so brav gewesen, keine Karten, keine Zaubersprüche, keine Rituale. Mir fehlte das sehr, und Anouk ging es nicht anders. Was konnte so ein einfaches kleines Spiel schon schaden?
    Wir wohnten jetzt fast eine Woche in Les Laveuses, und die Situation wurde immer besser. Wir hatten im Dorf sogar schon ein paar Freundschaften geschlossen. Ich mochte Framboise und Paul sehr, und wir fühlten uns wohl in der Wohnung über der Crêperie. Wegen Rosettes Geburt hatten wir Weihnachten mehr oder weniger verpasst, aber jetzt war bald Silvester, und zu Neujahr gehörte ja immer das Versprechen eines Neuanfangs. Die Luft war kalt, aber klar und frostig, und der Himmel hatte ein vibrierendes, grelles Blau. Ich machte mir nach wie vor Sorgen um Rosette, aber so langsam verstanden wir besser, was in ihr vorging, und mithilfe der Pipette konnten wir ihr so viel Nahrung zuführen, wie sie brauchte.
    Dann holte uns Père Leblanc ein. Er kam mit

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