Himmlische Wunder
Widerschein des Feuers und grinsend im Flackern der Flammen.
Es wurde letzten Endes kein schlimmer Brand, wir konnten ihn löschen, noch ehe die Feuerwehr eintraf. Wir schafften es sogar, den größten Teil der Ware zu retten. Allerdings war die Decke rußschwarz, und alles stank nach Rauch. Es sei eine Rakete gewesen, sagten die Feuerwehrleute, eine Standardrakete, durch den Briefkastenschlitz gesteckt und dann angezündet. Der Polizist fragte mich, ob ich etwas gesehen hätte. Ich sagte Nein.
Aber am nächsten Tag begann ich meinen Rachefeldzug. Ich stellte mich krank und blieb zu Hause, plante, bereitete vor. Aus Holzwäscheklammern bastelte ich sechs kleine Puppen. Ich gestaltete sie so realistisch wie möglich, mit handgenähten Kleidern, die Gesichter säuberlich ausgeschnitten aus Klassenfotos und unter die Haare geklebt. Ich gab ihnen Namen und nahm mir vor, sie für den Día de los Muertos fertig zu haben.
Von den Mänteln, die an den Haken hingen, zupfte ich einzelne Haare ab. Ich stahl Kleidungsstücke aus der Umkleidekabine. Ich riss Seiten aus Schulheften, entfernte Namensschilder von Taschen, durchwühlte Papierkörbe nach gebrauchten Taschentüchern und ließ abgekaute Kulikappen verschwinden, wenn niemand es merkte. Am Ende der Woche hatte ich genug Material beisammen, um ein ganzes Dutzend Klammerpuppen auszustatten – und an Halloween war es dann so weit.
Es war der Abend der großen Herbstparty. Offiziell wusste ich zwar nichts davon, aber es war allgemein bekannt, dass Scott mit Jasmine hingehen wollte und dass es Probleme geben würde, wenn ich ebenfalls auftauchte. Ich hatte nicht die Absicht hinzugehen, aber trotzdem wollte ich alles aufmischen. Und falls Scott oder sonst irgendjemand sich mir in den Weg stellen sollte, würde es ihn erst recht treffen.
Man darf nicht vergessen: Ich war noch sehr jung. Und in vielerlei Hinsicht auch unglaublich naiv, allerdings nicht ganz so naiv wie Anouk, versteht sich. Ich bekam auch nicht so schnell ein schlechtes Gewissen wie sie. Für meine Zwecke hatte ich eine zweigleisige Rachestrategie ausgetüftelt: Einerseits basierte sie auf meinem System, andererseits sollten wirksame chemische Mittel ein solides Fundament dafür legen, dass meine okkulten Experimente einen durchschlagenden Erfolg erzielten.
Ich war sechzehn. Meine Giftkenntnisse waren nicht besonders hoch entwickelt. Wie auch? Selbstverständlich kannte ich die üblichen Gifte, aber ich hatte bisher noch keine Möglichkeit gehabt, ihre konkrete Wirkung zu überprüfen. Das wollte ich ändern. Deshalb präparierte ich eine Mischung aus den potentesten Substanzen, die ich bekommen konnte. Alraunwurzel, Morning Glory und Eibe. Das alles gab es im Laden meiner Mutter zu kaufen, und in einer größeren Menge Wodka aufgelöst, waren all diese Drogen nicht mehr sichtbar. Den Wodka kaufte ich im Laden an der Ecke; die Hälfte verwendete ich für den Trank, dann gab ich noch ein paar Extras hinzu – unter anderem den Saft eines Blätterpilzes, den ich unter einer Hecke auf dem Schulgelände gefunden hatte, was für ein Zufall. Durch ein Sieb goss ich die Flüssigkeit zurück in die Flasche, die ich mit dem Zeichen von Hurakan, dem Zerstörer, markiert hatte und in meiner offenen Schultasche ließ, so dass jeder sie sehen konnte. Für den Rest würde das Karma sorgen, da war ich mir sicher.
Natürlich war die Flasche schon vor der Pause verschwunden: Scott und seine Freunde grinsten zufrieden und geheimnisvoll. Ich ging an dem Abend fast glücklich nach Hause und vervollständigte meine sechs Puppen, indem ich jeder eine lange, spitze Nadel ins Herz steckte und ihr dabei ein kleines Geheimnis zuflüsterte.
Jasmine – Adam – Luke – Danny – Michael – Scott .
Ich konnte das selbstverständlich vorher nicht genau wissen, so wenig wie ich es ahnen konnte, dass sie den Wodka nicht selbst trinken würden, sondern damit den Fruchtpunsch bei der Party aufpeppten, wodurch sich das Karmageschenk noch wesentlich weiter ausbreitete, als ich je zu hoffen gewagt hätte.
Die Wirkung war, wie ich hörte, absolut spektakulär. Mein Gebräu sorgte für heftiges Erbrechen, für Halluzinationen, Magenkrämpfe, Lähmungserscheinungen, Nierenfunktionsstörungen und Inkontinenz. Betroffen waren über vierzig Schüler, unter ihnen auch die sechs Übeltäter.
Es hätte schlimmer kommen können. Niemand starb. Jedenfalls nicht direkt. Aber Vergiftungen solchen Ausmaßes gehen nicht unbemerkt vorbei. Es
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