Himmlische Wunder
ihre wirre Erzählung an, nahm sie in den Arm, wenn es ihr zu viel wurde, strich ihr übers Haar und trocknete ihre Tränen – was wesentlich mehr war als das, was für mich getan wurde, als ich sechzehn war und meine Welt zusammenbrach.
Ich beruhigte sie, so gut ich konnte. Magie, sagte ich ihr, ist ein Instrument des Wandels, der Veränderung, wodurch unsere Welt lebendig bleibt. Alles ist miteinander verbunden, wenn auf einer Seite der Welt ein Leid geschieht, wird es auf der anderen Seite ausgeglichen durch sein Gegenteil. Es gibt kein Licht ohne Dunkel, kein Falsch ohne Richtig, kein Unrecht ohne Rache.
Und was meine eigene Erfahrung betrifft –
Ich habe ihr so viel erzählt, wie sie wissen musste. Genug, um uns zu Verschworenen zu machen, um uns zu verschwistern in Reue und Schuld, um sie von der Welt des Lichts abzuschneiden und sie dann sanft in die Dunkelheit zu ziehen.
Wie ich schon sagte: In meinem Fall begann alles mit einem Jungen. Es endete auch mit einem, rein zufällig; denn wie die Hölle nichts Schlimmeres zu bieten hat als den Zorn einer verschmähten Frau, so gibt es auf der Welt nichts Schlimmeres als eine betrogene Hexe.
Ein, zwei Wochen lief alles gut. Wie eine Königin triumphierte ich über die anderen Mädchen, genoss meine Eroberung und mein plötzliches Ansehen. Scott und ich waren unzertrennlich, aber Scott war schwach und eitel – das war auch der Grund, weshalb es mir keine Schwierigkeiten gemacht hatte, ihn zu versklaven –, und schon bald konnte er der Versuchung nicht mehr widerstehen, seinen Freunden in der Umkleidekabine alles zu erzählen, anzugeben, zu prahlen und sich schließlich über mich lustig zu machen.
Ich spürte sofort, dass das Gleichgewicht gekippt war. Scott hatte ein bisschen zu viel geredet, und die Gerüchte überschlugen sich, wie Herbstblätter jagten sie einander von einer Ecke des Schulhofs zur anderen. Graffiti erschien auf den Wänden der Toilettenkabinen, die anderen Schüler stießen sich an, wenn ich vorbeikam. Meine schlimmste Feindin war ein Mädchen namens Jasmine – intrigant, beliebt und demonstrativ bescheiden. Sie löste die erste Welle der Gerüchte aus. Ich setzte sämtliche Tricks ein, die ich beherrschte, aber es half nichts – einmal ein Opfer, immer ein Opfer. Und schon bald fiel ich in meine alte Rolle zurück, ich war wieder die Zielscheibe gehässiger Bemerkungen und blöder Witze. Da wechselte Scott die Seiten. Nach einer Reihe immer feiger werdenden Ausreden wurde er in der Stadt mit Jasmine und ihren Freundinnen gesehen, und schließlich trieben ihn die Sticheleien und Schmeicheleien zum direkten Angriff, und zwar auf den Laden meiner Mutter, über den die anderen schon lange herzogen, wegen der Kristallkugeln und wegen der Bücher über Sexmagie.
Sie kamen nachts. Eine ganze Gruppe, betrunken und lachend, mit Geschubse und Pssst-Gezische. Noch etwas zu früh für die Nacht der wilden Umtriebe, aber in den Läden gab es schon überall Feuerwerkskörper zu kaufen, und Hallowe’en winkte mit langen, dürren Fingern, die nach Rauch rochen. Mein Zimmer ging auf die Straße hinaus. Ich hörte sie kommen, hörte das Gelächter, spürte die Spannung in der Luft, dann eine Stimme – komm, mach schon!–, eine gebrummelte Antwort, eine zweite Stimme, drängend – los, los! Dann unheilvolle Stille.
Es dauerte fast eine Minute. Ich schaute nach. Dann hörte man eine Explosion, ganz nah, in einem geschlossenen Raum. Zuerst dachte ich, sie hätten Feuerwerkskörper in die Mülltonne gesteckt, aber dann roch ich Rauch. Ich schaute aus dem Fenster und sah sie, zu sechst waren sie, aufgescheucht wie verängstigte Hühner – fünf Jungen und ein Mädchen, die ich an ihrem Gang erkannte …
Und Scott. Klar. Er rannte voraus, seine blonden Haare leuchteten hell im Licht der Straßenlaterne. Er schaute zu mir hoch – und beinahe wären sich unsere Blicke begegnet.
Aber der Feuerschein aus dem Schaufenster muss es verhindert haben, das orangerote Flackern, als die Flammen sich ausbreiteten. Wie boshafte Akrobaten hüpften, purzelten, sprangen sie von einem Ständer mit Seidenschals zu der Dekoration aus Traumfängern und schließlich zu einem Stapel Bücher –
Mist . Ich sah, wie sich seine Lippen bewegten. Er blieb stehen – das Mädchen neben ihm zog ihn weiter. Seine Freunde schlossen sich an – er machte kehrt und rannte los. Aber ich hatte sie mir längst alle gemerkt, diese glatten, dummen Gesichter, gerötet vom
Weitere Kostenlose Bücher