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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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alte Priester und die Sozialarbeiterin waren nicht die einzigen Opfer des Dezemberwinds vor vier Jahren. Vianne Rocher und ihre Tochter Anouk sind an jenem Tag ebenfalls gestorben, und jetzt will sie versuchen, sie zurückzuholen –
    Wie ähnlich wir uns doch sind, Nanou!
    Tja, und ich brauche auch bald ein anderes Leben. Françoise Lavery verfolgt mich nämlich immer noch. Heute war sie wieder in der Lokalzeitung zu sehen, und es wurde erwähnt, dass sie neben vielen anderen Pseudonymen auch die Namen Mercedes Desmoines und Emma Windsor verwendete, und außerdem waren noch zwei neue verschwommene Bilder abgebildet, die von der Videoüberwachungsanlage stammten. Du siehst, Annie, ich habe meine eigenen Wohlwollenden, die zwar nur langsam vorankommen, aber auch sie sind unerbittlich, und die Verfolgung ist mittlerweile mehr als nur eine banale Belästigung, ja, sie rücken mir schon fast zu nah auf die Pelle.
    Wie haben sie das mit Mercedes herausgefunden? Und warum sind sie Françoise so schnell auf die Schliche gekommen? Wie lange wird es dauern, bis sie auch Zozie im Visier haben?
    Vielleicht ist die Zeit reif, sage ich mir. Mag sein, dass ich Paris ausgeschöpft habe. Zauberei hin oder her, jetzt könnte der richtige Augenblick sein, um neue Wege einzuschlagen. Aber nicht als Zozie. Nicht mehr.
    Wenn jemand Ihnen ein nagelneues Leben anböte, dann würden Sie das doch annehmen, oder?
    Natürlich würden Sie es annehmen.
    Und wenn dieses Leben Ihnen Abenteuer, Reichtum und ein Kind bringen würde – nicht irgendein Kind, sondern dieses wunderschöne, vielversprechende, hochbegabte Kind, noch unberührt von der Hand des Karmas, das einem jeden bösen Gedanken und jede fragwürdige Tat mit dreifacher Stärke zurückschickt –, etwas, das Sie den Wohlwollenden hinwerfen könnten, wenn nichts anderes mehr übrig bliebe –
    Würden Sie da nicht zugreifen, wenn Sie die Gelegenheit hätten?
    Ja?
    Ja, natürlich würden Sie zugreifen.

3

    M ITTWOCH , 12 . D EZEMBER
    Na ja, der Unterricht geht erst eine Woche, aber sie sagt, dass sie jetzt schon eine Veränderung sieht. Ich lerne immer mehr von diesem mexikanischen Zeug – Namen und Geschichten, Symbole und Zeichen. Ich weiß inzwischen, wie man mithilfe von Ehecatl, dem Verändernden, den Wind weckt und wie man Tlaloc um Regen bittet, und ich kann sogar den Hurakan anrufen, um mich an meinen Feinden zu rächen.
    Aber eigentlich denke ich gar nicht an Rache. Chantal und Co. sind seit dem Tag an der Bushaltestelle gar nicht mehr in der Schule gewesen. Anscheinend haben sie es jetzt alle. Es ist eine Art Ringelflechte, sagt Monsieur Gestin, aber auf jeden Fall müssen sie zu Hause bleiben, bis sich ihr Zustand bessert, weil sie sonst alle anderen anstecken. Es ist verblüffend, wie anders eine Klasse mit dreißig Schülern wirkt, wenn die vier gemeinsten Schülerinnen fehlen. Ohne Suzanne, Chantal, Sandrine und Danielle macht die Schule echt Spaß. Niemand muss Es sein, niemand lacht Mathilde aus und sagt, sie ist fett, und Claude hat in Mathematik sogar eine Frage beantwortet, ohne zu stottern.
    Heute habe ich mich nämlich um Claude gekümmert. Er ist richtig nett, wenn man ihn näher kennt, obwohl er meistens so furchtbar stottert, dass er fast mit keinem redet. Aber ich habe es geschafft, ihm einen Zettel in die Tasche zu stecken, den ich mit einem Symbol markiert hatte – mit dem Jaguar-Zeichen, für Mut. Vielleicht liegt es ja auch nur daran, dass die anderen nicht da sind, aber ich kann schon eine Verbesserung erkennen, glaube ich.
    Er ist viel lockerer, er sitzt aufrecht und nicht mehr so krumm und schief, und obwohl sein Stottern nicht ganz weg ist, klang es heute irgendwie gar nicht schlimm. Manchmal wird es sonst nämlich so stark, dass seine Wörter sich total verheddern, und dann wird er knallrot im Gesicht und bricht fast in Tränen aus, und alle geraten seinetwegen in Verlegenheit, sogar die Lehrer, und können ihn nicht ansehen (außer Chantal und Co. natürlich). Aber heute redete er mehr als normalerweise, und er hat sich nie richtig verhaspelt, kein einziges Mal.
    Ich habe auch mit Mathilde geredet. Sie ist sehr schüchtern und sagt nie viel. Sie trägt immer ganz weite schwarze Pullover, um ihre Figur zu verstecken – eigentlich will sie unsichtbar sein, weil sie hofft, dann lassen die anderen sie in Ruhe. Aber die lassen sie nicht in Ruhe, und sie läuft mit gesenktem Kopf herum, als hätte sie Angst, jemandem in die Augen zu sehen, und

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