Himmlische Wunder
gab eine Untersuchung, jemand petzte, und schließlich beichteten die Schuldigen. Sie gaben sich gegenseitig – und mir – die Schuld, und jeder versuchte, die Verantwortung von sich abzuwälzen. Sie gestanden, dass sie die Rakete durch unseren Briefkastenschlitz gesteckt hatten. Sie gaben zu, dass sie die Flasche aus meiner Schultasche gestohlen hatten. Sie verrieten sogar, dass sie den Fruchtpunsch mit Alkohol versetzt hatten –, leugneten jedoch standhaft, irgendetwas über den wahren Inhalt der Flasche gewusst zu haben.
Wie man sich unschwer denken kann, tanzte die Polizei als Nächstes bei uns zu Hause an. Die Beamten interessierten sich für das Kräuterangebot meiner Mutter und befragten mich ausführlich – ohne Erfolg. Ich war längst eine Expertin in Sachen Sturheit, so dass nichts – weder ihr Wohlwollen noch ihre Drohungen – mich dazu bringen konnte, meine Geschichte zu ändern.
Ja, es gab eine Flasche Wodka, sagte ich. Ich hatte sie gekauft – widerstrebend, aber trotzdem –, auf Scott McKenzies ausdrücklichen Wunsch hin. Scott plante tolle Sachen für die Party am Abend, und deshalb hatte er vorgeschlagen, ich solle doch ein paar Kleinigkeiten beitragen, um die Leute ein bisschen in Schwung zu bringen (wie er sich ausdrückte).
Ja, sagte ich, ich hatte genau gewusst, dass das nicht erlaubt war. Ich hätte gleich widersprechen müssen, aber nach der Sache mit der Rakete hätte ich Angst gehabt und deswegen stillschweigend mitgemacht, weil ich dachte, es könnte sonst schlimme Folgen für mich haben.
Und dann war offensichtlich etwas schiefgelaufen. Scott hatte keine Ahnung von diesen Substanzen, und so wie es aussah, hatte er zu viel genommen. Ich vergoss ein paar Krokodilstränen bei dem Gedanken, hörte mir brav die Moralpredigt des Polizisten an, machte ein erleichtertes Gesicht, weil ich noch einmal davongekommen war, und versprach, mich nie wieder auf so etwas einzulassen, ganz bestimmt nicht.
Es war ein erstklassiger Auftritt, und die Polizisten glaubten mir. Nur meine Mutter hatte ihre Zweifel. Als sie die Wäscheklammerpuppen fand, sah sie sich in ihrem Verdacht bestätigt, und sie wusste ja, welche Wirkung die Drogen hatten, mit denen sie handelte, weshalb sie sich denken konnte, worum es eigentlich gegangen war.
Ich stritt natürlich alles ab. Aber es war sonnenklar, dass sie mir nicht glaubte.
Es hätte jemand sterben können , sagte sie immer wieder. Als wäre nicht genau das meine Absicht gewesen! Als hätte mir das etwas ausgemacht, nach allem, was die anderen mir angetan hatten. Und dann redete sie davon, dass ich Hilfe bräuchte – sie sprach von einer Beratungsstelle und von Verhaltenstherapie und von einer Kinderpsychologin, vielleicht –
»Ich hätte dich nie nach Mexiko-Stadt mitnehmen dürfen«, sagte sie. »Bis dahin war alles okay – du warst so ein liebes kleines Mädchen –«
Der absolute Schwachsinn! Meine Mutter glaubte jeden Quatsch, der ihr irgendwie begegnete, und nun steigerte sie sich immer mehr in diese Wahnvorstellung hinein, dass das brave Mädelchen, das sie zum Día de los Muertos nach Mexiko mitgenommen hatte, irgendwie von bösen Mächten ergriffen worden war, die das Kind so verändert hatten, dass es nun zu fürchterlichen Taten fähig war.
»Die schwarze Piñata – was war da drin?«, fragte sie immer wieder. »Was war drin?«
Sie war inzwischen schon so hysterisch, dass ich gar nicht mehr richtig verstand, was sie eigentlich meinte.
Ich erinnerte mich gar nicht mehr an eine schwarze Piñata – die Reise war schon lange her, und außerdem hatte es so viele Piñatas gegeben. Und was den Inhalt betraf – ich vermute mal, es waren Süßigkeiten drin und kleine Spielsachen, Talismane und Totenköpfe aus Zucker und überhaupt der übliche Krimskrams, den man am Tag der Toten in einer Piñata findet.
Die Vorstellung, dass etwas anderes dahinterstecken könnte – dass irgendein Geist oder ein kleiner Gott (oder vielleicht sogar Santa Muerte , die gierige alte Mictecacihuatl selbst, die Mutter aller Wesen und die Verschlingerin der Toten) während der Mexikoreise von mir Besitz ergriffen hatte –
Na ja, wenn irgendjemand Hilfe brauchte, sagte ich, dann war es die Person, die sich dieses Märchen ausgedacht hatte. Aber sie blieb beharrlich, sie wagte es, mich als labil zu bezeichnen, zitierte wieder einmal ihre Glaubensgrundsätze und sagte schließlich, wenn ich nicht gestehen würde, was ich getan hatte, dann bleibe ihr
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