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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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vor Wut. In seiner Welt ist es eine Schande und eine Unverschämtheit, einen Job einfach hinzuschmeißen. Da lässt er keine einzige Ausrede gelten. Außerdem ist da noch irgendetwas mit einem Scheck, den Roux angeblich eingelöst hat – oder auch nicht eingelöst hat –
    Ich habe Thierry am Wochenende kaum gesehen. Probleme mit der Wohnung, sagte er, als er am Samstagabend kurz vorbeigekommen ist. Er hat nur ganz nebenbei erwähnt, dass Roux nicht da sei – und ich wagte es nicht, nach den Einzelheiten zu fragen.
    Heute hat er mir alles erzählt. Zozie war gerade dabei, den Laden zu schließen. Rosette spielte mit einem Puzzle. Sie versuchte erst gar nicht, die Puzzlestücke zusammenzufügen, sondern legte stattdessen komplizierte Spiralmuster auf dem Fußboden. Ich fing gerade mit den letzten Kirschtrüffeln an, da kam Thierry in die Chocolaterie gestürmt, sichtlich aufgebracht und feuerrot im Gesicht. Er sah aus, als wäre er kurz davor zu explodieren.
    »Ich hab’s doch gleich gewusst, dass mit ihm etwas nicht stimmt«, zeterte er. »Diese Typen sind alle gleich. Unzuverlässig,verlogen – nicht sesshaft.« Das sagte er so, als wäre es etwas ganz, ganz Übles, ein exotischer Fluch. »Ich weiß, er ist angeblich ein Freund von dir. Aber es kann dir doch nicht entgangen sein, was für ein windiger Kerl er ist! Wie kann er wortlos einen Job hinschmeißen – nur um meine Planung zu torpedieren! Ich zeige ihn an. Oder vielleicht schlage ich ihn auch nur zusammen, diesen rothaarigen Drecksack –«
    »Thierry, bitte!« Ich schenkte ihm eine Tasse Kaffee ein. »Beruhige dich.«
    Aber wenn es um Roux geht, kann er das nicht. Klar, die beiden sind grundverschieden. Thierry ist solide und fantasielos, hat in seinem Leben noch nie woanders gewohnt als in Paris, und seine Ablehnung alleinerziehender Mütter, alternativer Lebensstile und fremdländischer Speisen hat mich immer eher amüsiert – bis jetzt.
    »Was findest du überhaupt an ihm? Wieso bist du mit ihm befreundet?«
    Ich wandte mich ab. »Wir haben das doch alles schon durchgesprochen.«
    Thierry funkelte mich böse an. »Wart ihr etwa ein Paar?«, fragte er. »Steckt das hinter allem? Hast du mit ihm geschlafen, mit diesem Schwein?«
    »Thierry, bitte!«
    »Sag mir die Wahrheit! Habt ihr gevögelt?«, schrie er.
    Jetzt zitterten meine Hände. Wut stieg in mir hoch, und weil ich sie zu unterdrücken versuchte, wurde sie immer heftiger.
    »Und wenn?«, fuhr ich ihn an.
    So einfache Worte. So gefährliche Worte.
    Fassungslos starrte er mich an. Sein Gesicht war plötzlich aschfahl, und ich begriff, dass sein ganzes Geschimpfe, auch wenn es noch so aufgebracht geklungen hatte, nichts weiter gewesen war als eine seiner dramatischen Gesten, vorhersagbar und letztlich bedeutungslos. Er hatte ein Ventil für seine Eifersucht gebraucht, für seinen Kontrollwahn, für seine unausgesprochene Frustration darüber, dass unsere Pläne nur so schleppend vorankamen.
    Als er antwortete, bebte seine Stimme. »Du bist mir die Wahrheitschuldig, Yanne«, sagte er. »Ich habe viel zu lange schweigend zugeschaut. Ich weiß nicht einmal, wer du bist, Himmelherrgott. Ich habe dir vertraut, ich habe mich um dich gekümmert, um dich und deine Kinder – und hast du je ein Wort der Klage von mir gehört? Ein verwöhntes Gör und eine Behinderte –«
    Er verstummte abrupt.
    Ich fixierte ihn stumm. Er hatte eine unsichtbare Grenze überschritten.
    Rosette blickte von ihrem Puzzle hoch. Die Glühbirne in der Lampe flackerte. Auf dem Tisch begannen die Plastikformen, die ich zum Keksmachen verwende, zu rattern, als würde ein Schnellzug vorbeifahren.
    »Yanne – entschuldige. Bitte, sei mir nicht böse.« Thierry bemühte sich sofort um Schadensbegrenzung, wie ein Vertreter, der von Tür zu Tür geht, in der Hoffnung, dass er ein Geschäft, das ihm zu entgleiten droht, doch noch irgendwie in trockene Tücher bekommt.
    Aber der Schaden war irreparabel. Das Kartenhaus, das wir so sorgfältig aufgebaut hatten, war mit einem einzigen Wort weggewischt worden. Und jetzt sehe ich, was mir vorher entgangen ist. Zum ersten Mal sehe ich Thierry. Ich habe schon vorher gemerkt, dass er kleinlich ist. Dass er sich über Leute, die ihm unterlegen sind, erhebt. Ich habe seine Arroganz gesehen, sein eingebildetes, eitles Gehabe. Aber jetzt kann ich auch seine Farben sehen, seine versteckten Empfindlichkeiten, die Unsicherheit hinter seinem Grinsen, die Spannung in seinen Schultern und dass

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