Himmlische Wunder
und ich. Wir machen es richtig – ein für alle Mal.
11
D IENSTAG , 18 . D EZEMBER
Thierry war heute Morgen schon wieder hier und fragte nach Roux. Anscheinend denkt er, durch diese Angelegenheit ändert sich etwas zwischen uns. Als würde es meinen Glauben an ihn wiederherstellen, wenn Roux ins Zwielicht gerät.
Klar, das ist alles nicht einfach. Ich habe versucht, ihm meine Haltung zu erklären. Es geht nicht um Roux. Aber Thierry ist stur. Er hat Freunde bei der Polizei und hat seinen Einfluss schon geltend gemacht, damit diesem kleinen Betrugsfall mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, als er verdient. Aber Roux ist verschwunden, wie immer. Wie der Rattenfänger im Berg.
Im Gehen warf Thierry mir noch eine giftige Information vor die Füße, die angeblich von seinem Freund bei der Polizei stammte:
»Das Konto, das er benutzt hat, um seine Schecks einzulösen, gehört übrigens einer Frau«, rief er triumphierend und beobachtete mich lauernd. »So wie’s aussieht, ist dein Freund nicht allein.«
Heute hatte ich wieder mein rotes Kleid an. Das ist bei mir ja eher eine Ausnahme, ich weiß, aber die Auseinandersetzungen mit Thierry, Roux’ Verschwinden und das Wetter – immer noch trübe und mit Schnee in der Luft – hatten zur Folge, dass ich in meinem Leben ein bisschen Farbe haben wollte.
Vielleicht war das Kleid ja der Grund, oder vielleicht gab es einen wilden Wirbelwind, jedenfalls fing ich heute bei der Arbeit an zu singen, trotz meiner vielen Sorgen, trotz allem, was Thierrygesagt hat, und obwohl mir das Herz wehtut, wenn ich an Roux denke, obwohl ich nicht schlafen kann und ständig Angst habe.
Es ist, als wäre eine neue Seite aufgeschlagen worden. Ich fühle mich innerlich frei, zum ersten Mal seit Jahren, glaube ich. Frei von Thierry, sogar frei von Roux. Ich habe das Gefühl, endlich sein zu können, wer immer ich sein will, wobei ich allerdings nicht genau weiß, wer das ist.
Zozie ist heute Morgen weggegangen. Seit Wochen war ich wieder einmal allein im Laden, bis auf Rosette, die sich intensiv mit ihrem Malbuch und ihrer Knopfschachtel beschäftigte. Ich hatte fast vergessen, wie es sich anfühlt, in einer gut besuchten Chocolaterie hinter der Theke zu stehen, mit den Kunden zu reden, herauszufinden, was ihre Lieblingssorte ist.
Es war verblüffend, so viele Stammkunden zu sehen. Natürlich merke ich auch von der Küche aus, wer alles kommt, aber ich hatte noch nicht richtig registriert, wie viele Leute regelmäßig kommen. Madame Luzeron war im Laden, obwohl es gar nicht ihr Tag ist. Dann Jean-Louis und Paupaul, angelockt von der Aussicht, dass hier ein warmes Plätzchen auf sie wartet, wo sie malen können, und auch weil sie immer mehr Appetit auf meine Mokkasahnetorte haben. Nico – jetzt streng auf Diät, aber anscheinend ist es eine Diät, zu der es gehört, dass man massenhaft Makronen isst. Alice mit einem Bund Stechpalmen für den Laden und weil sie etwas von ihrer Lieblingssorte wollte, Fudge-Carrés . Madame Pinot, die sich nach Zozie erkundigte.
Da war sie nicht die Einzige. Alle unsere Stammkunden fragten nach Zozie, und Laurent Pinson, der frisch gewaschen und gestriegelt ankam und mich mit einer übertriebenen Verbeugung begrüßte, schien in sich zusammenzusacken, als er sah, dass ich es war, die da hinter der Theke stand. So als hätte er wegen des roten Kleides eine andere Frau an der Kasse erwartet.
»Ich habe gehört, Sie geben ein Fest«, sagte er.
Ich lächelte. »Nur eine kleine Feier. An Heiligabend.«
Er erwiderte mein Lächeln, genauso kriecherisch, wie er Zozie immer anlächelt. Von ihr weiß ich, dass er allein ist – keine Familie,keine Kinder an Weihnachten. Und obwohl ich ihn nicht besonders mag, bekam ich Mitleid mit ihm, wie er da so stand, mit seinem gestärkten gelben Kragen und dem hungrigen Hundelächeln.
»Wenn Sie möchten, können Sie natürlich gern kommen«, sagte ich. »Es sei denn, Sie haben schon andere Pläne für Heiligabend.«
Er runzelte die Stirn, als würde er versuchen, sich die Einzelheiten seines ausgebuchten Terminkalenders ins Gedächtnis zu rufen.
»Könnte sein, dass es klappt«, sagte er. »Ich habe viel zu tun, aber –«
Ich musste mir die Hand vor den Mund halten, damit er mein Grinsen nicht sah. Laurent gehört zu den Männern, die das Gefühl haben müssen, als würden sie einem einen riesigen Gefallen tun, wenn sie einen Gefallen annehmen.
»Wir würden uns freuen, Monsieur Pinson.«
Er zuckte großzügig
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