Himmlische Wunder
Mechanismus, der nicht aufzuhalten ist und uns langsam, aber sicher voneinander trennt. Sie hat mir doch immer alles erzählt. Jetzt wirkt das, was sie mir mitteilt, irgendwie zensiert, ihr Lächeln ist zu strahlend, zu erzwungen, um glaubhaft zu sein.
Hängt das mit Jean-Loup Rimbault zusammen? Man soll nicht glauben, dass mir nicht aufgefallen ist, wie selten sie jetzt von ihm redet. Und dann dieser aufgescheuchte Blick, wenn ich das Thema anspreche. Und sie zieht sich jetzt so sorgfältig für die Schule an, während sie sich früher kaum die Haare gebürstet hat …
Hat es vielleicht etwas mit Thierry zu tun? Ist sie beunruhigt wegen Roux?
Ich habe versucht, sie ganz direkt zu fragen, ob irgendetwas nicht stimmt, in der Schule vielleicht, ob es Probleme gibt, von denen ich keine Ahnung habe. Aber sie antwortet immer nur Nein, Maman , mit dieser hellen Kleinmädchenstimme, und dann trabt sie nach oben, um ihre Hausaufgaben zu machen.
Aber später am Abend dringt aus Zozies Zimmer Gelächter zu mir in die Küche, und ich gehe ganz leise an den Fuß der Treppe und horche. Ich höre Anouks Stimme, wie eine ferne Erinnerung. Und ich weiß, wenn ich die Tür öffne, dann verstummt das Lachen sofort, und ihre Augen werden wieder kühl, und die Anouk, die ich von Weitem gehört habe, ist verschwunden, wie eine Gestalt aus einem Märchen.
Zozie hat das Adventsfenster wieder umdekoriert. Heute ging eine neue Tür auf. Ein Weihnachtsbaum, raffiniert gebastelt aus Tannenzweigen, steht jetzt im Flur des Puppenhauses. Die Mutter wartet in der Tür und blickt hinaus in den Garten, wo ein Chor von Weihnachtssängern (sie hat Zuckermäuse dafür genommen) sich in einem Halbkreis versammelt hat und hineinschaut.
Wir haben heute auch unseren Baum aufgestellt. Er ist ziemlich klein, aus dem Blumenladen ein Stück die Straße hinunter, aber er duftet wunderbar nach Nadeln und Harz, und die Silbersterne warten darauf, an die Zweige gehängt zu werden, genauso wie die weiße Lichterkette, die über alles drapiert werden soll. Anouk möchte den Baum gern schmücken, deshalb habe ich absichtlich noch nicht angefangen, damit wir, wenn sie von der Schule nach Hause kommt, uns gemeinsam daranmachen können.
»Was tut denn Anouk so in letzter Zeit?« Mein unbeschwerter Ton klingt verkrampft. »Ich habe den Eindruck, sie ist dauernd irgendwie unterwegs.«
Zozie lächelte. »Bald ist Weihnachten«, sagte sie. »Kinder sind in dieser Jahreszeit immer ein bisschen aufgeregt.«
»Hat sie nicht mit dir gesprochen? Meinst du, sie ist durcheinander wegen der Auseinandersetzungen zwischen Thierry und mir?«
»Nicht dass ich wüsste«, antwortete Zozie. »Ich würde denken, sie ist eher erleichtert.«
»Heißt das, es gibt nichts, was sie beunruhigt?«
»Höchstens das Fest«, sagte Zozie.
Das Fest. Ich weiß immer noch nicht so ganz, was sie damit bezweckt. Seit dem Tag, als sie das erste Mal darüber geredet hat, ist meine kleine Anouk eigensinnig und seltsam, sie macht Pläne, schlägt Gerichte vor, lädt alle möglichen Leute ein, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, wie viel Platz und wie viele Sitzgelegenheiten wir haben.
»Kann ich Madame Luzeron einladen?«
»Natürlich, Nanou. Wenn du denkst, dass sie kommt.«
»Und Nico?«
»Einverstanden.«
»Und Alice. Und Jean-Louis und Paupaul.«
»Nanou, diese Leute haben ihre eigenen Familien, wieso denkst du –«
»Sie kommen«, sagt sie, als hätte sie es bereits arrangiert.
»Woher weißt du das?«
»Ich weiß es eben.«
Vielleicht stimmt das ja, sage ich mir. Sie scheint wirklich sehr viel zu wissen. Und da ist noch eine Sache – ein Geheimnis in ihrem Blick, irgendetwas, wovon ich ausgeschlossen bin.
Ich schaue in die Chocolaterie . Unser Laden sieht so warm und heimelig aus, so intim. Kerzen brennen auf den Tischen, das Adventsfenster erleuchtet ein rosiger Glanz. Es riecht nach den Orangen und Nelken von der Ambrakugel, die über der Tür hängt, nach Tannennadeln, nach Glühwein, den wir neben der gewürzten Schokolade anbieten, und nach frischen Lebkuchen, direkt aus dem Backofen. Das Aroma lockt die Menschen an – drei, vier auf einmal, Stammkunden, Fremde und Touristen. Sie bleiben vor dem Fenster stehen, atmen den Duft ein, und schon kommen sie durch die Tür, wirken fast ein wenig benommen, vielleicht wegen der vielfältigen Gerüche und Farben, und dann sind da ihre Lieblingssorten in den kleinen Glaskästen – Bitterorangepralinen, Mendiants du Roi
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