Himmlische Wunder
er –«
»Dass er perfekt ist. Ich weiß.«
Er nahm meine Hände. »Ich kann damit leben, Yanne. Ich versprechees dir. Wir werden einen Spezialisten konsultieren, der ihren Fall behandeln soll. Sie wird alles bekommen, was man sich nur wünschen kann. Kindermädchen, Spielzeug –«
Noch mehr Geschenke. Als würde das etwas an seinen Gefühlen ändern. Ich schüttelte den Kopf. Das Herz verändert sich nicht. Man kann lügen, hoffen, sich etwas vormachen, aber kann man dem Element, mit dem man geboren wurde, je entgehen?
Er muss mein Gesicht gesehen haben. Seine Züge erschlafften, seine Schultern sackten herunter.
»Aber alles ist schon geplant«, sagte er.
Nicht Ich liebe dich , sondern Alles ist schon geplant .
Und trotz des bitteren Geschmacks in meinem Mund überkam mich plötzlich eine unbändige Freude. Als hätte sich etwas Vergiftetes, das in meiner Kehle gesteckt hatte, schlagartig gelöst.
Draußen klimperte das Windspiel, und ohne zu überlegen, machte ich mit den Fingern das Gabelzeichen, mit dem man Unheil abwehrt. Alte Angewohnheiten kann man nicht so schnell ablegen. Ich habe das Zeichen schon jahrelang nicht mehr gemacht. Aber ich fühlte mich nicht ganz wohl dabei. Als könnte schon so eine Kleinigkeit den Wind wieder aufwecken. Und als Thierry gegangen war und ich allein zurückblieb, glaubte ich Stimmen im Wind zu hören, die Stimmen der Wohlwollenden. Und irgendwo in der Ferne leises Lachen.
10
M ONTAG , 17 . D EZEMBER
Es ist so weit. Erledigt. Super! Irgendein Streit wegen Roux, glaube ich, und ich konnte es kaum erwarten, ihm nach der Schule davon zu erzählen. Aber er war nirgends.
Ich versuchte es in der Pension in der Avenue de Clichy, wo er bis jetzt gewohnt hat, wie Thierry behauptet. Aber niemand machte auf, als ich klopfte, und dann kam ein alter Mann mit einer Flasche Wein und schimpfte, weil ich so einen Lärm machte. Er war auch nicht auf dem Friedhof, und in der Rue de la Croix hatte ihn ebenfalls niemand gesehen, also musste ich schließlich aufgeben. Ich hinterließ einen Zettel für ihn in der Pension, mit dem Vermerk Dringend . Wenn er heimkommt, muss er ihn sehen. Falls er überhaupt hingeht, heißt das. Denn inzwischen war die Polizei da, und niemand ging mehr irgendwohin.
Zuerst dachte ich, die Beamten wären meinetwegen gekommen. Es war schon dunkel – fast sieben Uhr abends –, und Rosette und ich aßen gerade in der Küche. Zozie war ausgegangen, und Maman trug ihr rotes Kleid, und zur Abwechslung waren mal nur wir drei zu Hause.
Dann kamen sie, zwei Männer, und mein erster Gedanke war, dass Thierry etwas zugestoßen war und dass es meine Schuld war, wegen der Sache am Freitagabend. Aber Thierry begleitete die Polizisten und sah kerngesund aus, nur dass er noch lauter und munterer und noch mehr Salut-mon-pote -mäßig war als sonst. In seinen Farben konnte ich allerdings irgendetwas sehen, was mich auf den Gedanken brachte, dass er nur so tat, als wäre er gut drauf,um die Leute, mit denen er zusammen war, zu täuschen, und das machte mich erst recht nervös.
Wie sich herausstellte, suchten sie nach Roux. Sie blieben etwa eine halbe Stunde im Laden, und Maman schickte mich mit Rosette nach oben, aber ich konnte trotzdem ziemlich gut hören, was gesprochen wurde, auch wenn ich nicht jedes Detail mitbekam.
Es ging um einen Scheck. Thierry sagt, er hat ihn Roux gegeben – er hatte einen Zettel, der es beweist –, aber angeblich hat Roux versucht, ihn zu fälschen, ehe er ihn auf seinem Konto gutschreiben ließ, so dass er viel mehr Geld bekommen hat als die Summe, auf die der Scheck eigentlich ausgestellt war.
Tausend Euro, sagten sie. Das nennt man Betrug, sagte Thierry, dafür kommt man ins Gefängnis, vor allem, wenn man einen falschen Namen angibt, um ein Konto zu eröffnen, und wenn man das Geld wieder abhebt, ehe es jemand erfährt, und dann spurlos verschwindet, ohne seine neue Adresse anzugeben.
Das sagten sie also über Roux. Total bescheuert, denn jeder weiß, dass Roux gar kein Konto hat und dass er nie etwas stehlen würde, nicht einmal von Thierry. Aber dass er spurlos verschwunden ist, das stimmt. Seit Freitag war er nicht mehr in der Pension, und bei der Arbeit war er natürlich auch nicht. Das heißt, ich bin vielleicht die Letzte, die ihn gesehen hat. Es heißt außerdem, dass er nicht mehr hierher kommen kann, denn sobald er auftaucht, würde er verhaftet. Dieser blöde Thierry! Ich hasse ihn. Ich würde ihm sogar zutrauen, dass
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