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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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, gewürzte Chiliecken, Pfirsichcognactrüffel, weiße Schokoladenengel, Lavendelkrokant –, und alles wispert unhörbar:
    Nimm mich. Iss mich. Genieß mich .
    Und Zozie mittendrin. Selbst wenn noch so viel Betrieb ist: Sie lacht, sie lächelt, sie scherzt, sie verteilt Pralinen auf Kosten des Hauses, sie redet mit Rosette und verleiht allem einen helleren Glanz, einfach dadurch, dass sie da ist.
    Mir kommt es vor, als würde ich mich selbst sehen: die Vianne, die ich in einem früheren Leben war.
    Aber wer bin ich jetzt? Ich laure hinter der Küchentür und kann den Blick nicht abwenden. Eine Erinnerung aus einer anderen Zeit taucht auf, ein Mann, der im Türrahmen steht und misstrauisch hereinspäht. Reynauds Gesicht, seine hungrigen Augen, der hasserfüllte, gehetzte Blick eines Mannes, den das, was er sieht, ekelt, und der trotzdem hinschauen muss.
    Kann es sein, dass ich auch so geworden bin? Dass ich eine neue Version des Schwarzen Mannes bin? Ein zweiter Reynaud, gequält von der Lust, unfähig, die Freude anderer zu ertragen, zerfressen von Schuldgefühlen und Neid?
    Absurd. Wie könnte ich auf Zozie neidisch sein?
    Was noch schlimmer ist: Wie ist es möglich, dass ich Angst habe?
    Um halb fünf kommt Anouk von den nebligen Straßen hereingeweht, mit blitzenden Augen und gefolgt von einem verräterischen Schimmer, der Pantoufle sein könnte, wenn es ihn gäbe. Sie begrüßt Zozie mit einer stürmischen Umarmung. Rosette schließt sich den beiden an. Sie drehen sich im Kreis und rufen Bam-bambam ! Es ist ein Spiel, ein wilder Tanz, bis sie sich alle drei lachend und atemlos in die weichen rosaroten Sessel fallen lassen.
    Und während ich die Szene von der Küchentür aus beobachte, kommt mir plötzlich eine Idee. Hier in diesen Räumen sind zu viele Geister. Gefährliche Geister, lachende Geister, Geister aus einer Vergangenheit, deren Wiederauferstehung wir uns nicht leisten können. Und das Komische ist, sie sehen so lebendig aus – als wäre ich, Vianne Rocher, der Geist, und die kleine Dreieinigkeit vorne im Laden wäre die Wirklichkeit, die magische Zahl, der Kreis, der nicht durchbrochen werden kann –
    Das ist natürlich Unsinn. Ich weiß, ich bin real. Vianne Rocher ist nur ein Name, den ich früher hatte. Vermutlich nicht einmal mein wirklicher Name. Vianne kann keine Bestimmung haben, die darüber hinausgeht, sie kann außerhalb von mir keine Zukunft haben.
    Aber ich muss trotzdem ständig an sie denken, wie an einen Mantel, den man sehr, sehr gern getragen hat, oder wie an Schuhe, die man aus einem Impuls heraus einem Heilsarmeeladen gegeben hat, damit jemand anderes sie tragen und sich an ihnen freuen kann.
    Und nun frage ich mich:
    Wie viel von mir selbst habe ich weggegeben? Und wenn ich nicht mehr Vianne bin – wer ist es dann?



1

    M ITTWOCH , 19 . D EZEMBER
    Oh, guten Tag, Madame. Ihre Lieblingssorte? Lassen Sie mich überlegen – Schokoladentrüffel, nach meinem Spezialrezept, markiert mit dem Zeichen der Herrin des Blutmondes und in etwas gewälzt, das die Zunge verwöhnt. Ein Dutzend? Oder vielleicht doch lieber zwei Dutzend? In einer Schachtel mit schwarzem Seidenpapier und mit einer knallroten Schleife –
    Ich wusste, sie würde irgendwann kommen. So ist das nämlich, wenn man meine Spezialangebote genießt. Sie erschien kurz vor Ladenschluss, Anouk war oben und machte Hausaufgaben, und Vianne war wieder in der Küche und arbeitete am Konfekt für morgen.
    Zuerst beobachte ich, wie sie den Geruch aufnimmt. Eine fantastische Mischung aus unzähligen Elementen: der Weihnachtsbaum in der Ecke, das etwas muffige Aroma des alten Hauses, Orangen und Nelken, frisch gemahlener Kaffee, heiße Milch, Patschuli, Zimt – und natürlich Schokolade, berauschend. Der Reichtum eines Krösus, die Dunkelheit des Todes.
    Sie blickt sich um: Wandbehänge, Bilder, Glocken, Weihnachtsschmuck, Puppenhaus im Fenster, Teppiche auf dem Fußboden – in Chromgelb, Fuchsienrosa, Scharlachrot, Gold und Grün. Das ist ja wie in einer Opiumhöhle hier drin , hätte sie fast gesagt, dann wundert sie sich über sich selbst, dass ihr so etwas einfällt. Sie war ja noch nie in einer Opiumhöhle – so etwas kennt sie höchstens aus Tausendundeine Nacht  –, aber dieser Laden hat etwas, denkt sie. Einen Hauch von – Magie.
    Der gelbgrau leuchtende Himmel draußen verspricht Schnee. Im Wetterbericht heißt es zwar schon seit Tagen, dass es demnächst schneien wird, aber zu Anouks maßloser Enttäuschung

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