Himmlische Wunder
ich nicht weglaufen, … auch nicht, wenn Zozie dafür sorgt, dass alles hier über mir zusammenbricht. Diesmal bleiben wir. Egal, was passiert.
»Es kommt jemand!« Das Windspiel klimpert. In der Tür steht eine Gestalt mit Lockenperücke, aber sie ist viel zu massig, um Roux sein zu können.
»Vorsicht, Leute, hier kommt ein Schwertransport mit Überbreite!«
»Nico!«, ruft Anouk und wirft sich auf den Koloss mit dem geschnürten Mantel, den Kniestiefeln und dem Goldschmuck, bei dem selbst ein König vor Neid erblassen würde. Er ist bepackt mit Geschenken, die er unter dem Weihnachtsbaum ablädt, und ich weiß zwar schon immer, dass der Raum nicht groß ist, aber mit seiner riesig guten Laune scheint Nico ihn ganz und gar auszufüllen.
»Wer bist du?«, fragt ihn Anouk.
»Heinrich der Vierte natürlich«, verkündet Nico mit majestätischer Gebärde. »Der kulinarische König Frankreichs. Hallo –« Er schnuppert. »Irgendwas riecht gut. Ich meine – wirklich gut. Was brutzelt auf dem Herd, Annie?«
»Ganz verschiedene Sachen.«
Hinter ihm ist Alice hereingekommen: als Fee, in einem Tutu und mit glitzernden Flügeln, obwohl Feen sonst natürlich keine so klobigen Stiefel tragen. Sie lacht fröhlich, und obwohl sie immer noch sehr schmal wirkt, ist ihr Gesicht doch nicht mehr ganz so spitz, was sie wesentlich hübscher macht und weniger zerbrechlich.
»Wo ist die Schuhkönigin?«, fragt Nico.
»Sie ist gleich fertig«, sagt Anouk, nimmt Nico an der Hand und zieht ihn zu seinem Platz an dem festlich gedeckten Tisch. »Komm, trink was, wir haben jede Menge –« Sie taucht den Schöpflöffel in den Punsch. »Aber stürz dich nicht gleich auf die Makronen. Es gibt genug Essen für eine ganze Armee.«
Als Nächste kommt Madame Luzeron. Sie ist viel zu vornehm, um sich zu verkleiden, aber in ihrem hellblauen Twinset wirkt sie sehr festlich. Nachdem sie ihre Gaben unter den Baum gelegt hat, nimmt sie von Anouk ein Glas Punsch entgegen, und meine kleine Rosette, die mit ihrem Holzhund auf dem Fußboden spielt, schenkt ihr ein süßes Lächeln.
Wieder bimmelt das Windspiel, und herein kommt Laurent Pinson, mit geputzten Schuhen und mit frischen Rasierspuren im Gesicht. Danach treffen Richard und Mathurin ein, Jean-Louis und Paupaul – der die schrillste gelbe Weste trägt, die ich je gesehen habe –, dann Madame Pinot, als Nonne verkleidet, und schließlichdie ängstlich dreinschauende Dame, die Rosette die Puppe geschenkt hat (eingeladen von Zozie, nehme ich an), und plötzlich wimmelt es im Raum – Menschen, Gläser, Gelächter, Canapés und Süßigkeiten, und ich behalte immer die Küche im Auge, während Anouk an meiner Stelle die Gastgeberin spielt. Alice knabbert an einem Mendiant , Laurent nimmt sich eine Handvoll Mandeln, um sie später in seiner Tasche verschwinden zu lassen, und Nico ruft wieder nach Zozie. Ich bin gespannt, wann sie loslegt.
Klack-klack-klack. Schritte auf der Treppe.
»Tut mir leid, dass ich so spät dran bin«, sagt sie und lächelt, frisch und strahlend in ihrem roten Kleid. Einen Moment lang herrscht andächtige Stille. Nun sehen wir es alle: Sie hat sich die Haare auf Schulterlänge abgeschnitten, wie ich, und sie streicht sie sich hinter die Ohren, genau wie ich, sie hat meinen geraden Pony und die kleine Welle hinten, die nicht zu bändigen ist.
Die unbekannte Dame umarmt Zozie zur Begrüßung. Ich muss unbedingt herausfinden, wie sie heißt, aber im Moment starre ich wie gebannt auf Zozie, die jetzt ganz im Mittelpunkt steht und von den Gästen mit Lachen und Applaus empfangen wird.
»Und – wer bist du?«, fragt Anouk.
Zozie antwortet nicht, sondern wendet sich mir zu, mit einem vielsagenden Lächeln, das nur ich sehen kann.
»Na, Yanne, ist das nicht gelungen? Erkennst du mich nicht? Ich komme als du.«
7
M ONTAG , 24 . D EZEMBER
Heiligabend, 20 Uhr 30
Ach, Sie wissen ja, manchen Leuten kann man es einfach nicht recht machen. Aber es hat sich gelohnt, schon wegen ihres entsetzten Gesichtsausdrucks – sie wurde kreidebleich und zitterte am ganzen Körper, als sie sich selbst die Treppe herunterkommen sah.
Ich muss sagen, das Ergebnis war wirklich erstklassig. Kleid, Frisur, Schmuck, alles – außer den Schuhen – perfekt kopiert und mit einem leisen Lächeln präsentiert –
»Mensch, man könnte denken, ihr seid Zwillinge!«, ruft der fette Nico mit kindischem Entzücken, während er sich noch ein paar Makronen in den Mund stopft. Laurent
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