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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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zuckt nervös, als hätte man ihn bei einer unerlaubten Fantasievorstellung ertappt. Natürlich können die Leute uns immer noch auseinanderhalten – mit Zaubertricks kann man nicht alles erreichen, und eine totale Verwandlung gehört ins Märchenreich –, aber trotzdem ist es unglaublich, wie mühelos ich in die Rolle schlüpfen kann.
    Auch Anouk bemerkt natürlich die beabsichtigte Ähnlichkeit. Aber ihre Aufregung hat sich inzwischen fast ins Manische gesteigert, sie rennt ständig nach draußen, angeblich um den Schnee zu sehen, aber sie und ich, wir wissen beide, dass sie auf Roux wartet – und ich vermute, dass das Schillern in ihren Farben nichts mit ihrer allgemeinen Begeisterung zu tun hat, sondern mit einer fiebrigen Energie, die sie irgendwie loswerden muss, damit sie nicht verbrennt wie ein Papierlampion.
    Roux ist nicht da. Jedenfalls noch nicht – und so allmählich muss Vianne das Essen servieren.
    Mit einem gewissen Zögern beginnt sie. Es ist noch früh, vielleicht kommt er ja noch – sein Platz ist am unteren Ende des Tisches gedeckt, und wenn jemand fragt, dann wird sie sagen, das ist der Platz, den man zu Ehren der Toten deckt, eine alte Tradition, die an den Día de los Muertos erinnert, passend zu dem heutigen Fest.
    Wir fangen mit einer Zwiebelsuppe an, rauchig und wohlriechend wie Herbstlaub, mit Croutons und geriebenem Gruyère und einem Hauch Paprika. Sie bedient die Gäste und behält mich dabei die ganze Zeit im Auge. Erwartet sie vielleicht, dass ich plötzlich einen noch viel perfekteren Gang aus dem Hut zaubere und ihre Bemühungen in den Schatten stelle?
    Aber ich esse und unterhalte mich, ich lächle und lobe die Köchin, und das Klappern des Bestecks steigt ihr zu Kopfe, auf einmal fühlt sie sich leicht benommen. Na ja, Pulque ist ein mysteriöses Gebräu, und dass der Punsch damit durchsetzt ist, haben wir selbstverständlich meiner Wenigkeit zu verdanken. Das entspricht ja auch diesem großen Freudenfest. Um sich zu beruhigen, trinkt sie noch mehr. Die Nelken verströmen einen Duft, als wäre man lebendig begraben, und das Zeug schmeckt wie mit Feuer gewürztes Chili, und sie fragt sich: Hört das je wieder auf?
    Der zweite Gang ist süße Foie gras, auf dünnem Toast, mit Quitten- und Feigenmarmelade. Es ist das feine Knacken, das diesem Gericht seinen Charme verleiht, ganz ähnlich wie bei richtig temperierter Schokolade, und die Foie gras kann man sich genüsslich auf der Zunge zergehen lassen, denn sie ist so weich wie eine Trüffel. Dazu trinkt man ein Glas eisgekühlten Sauternes, den Anouk nicht ausstehen kann, während Rosette gern ein Gläschen davon trinkt – das Gläschen ist nicht größer als ein Fingerhut, und auf ihrem Gesicht erscheint ein sonnig seliges Lächeln, und sie macht ein Zeichen, um zu signalisieren, dass sie noch mehr will.
    Der dritte Gang ist Lachs en papillotte, in Folie zubereitet und ganz serviert, mit einer Sauce Béarnaise. Alice stöhnt, sie sei schon fast satt, aber Nico teilt seine Portion mit ihr, füttert sie mit kleinen Bissen und lacht über ihren Miniappetit.
    Dann kommt der Hauptgang, die Gans, im heißen Backofenlange gebraten, so dass das Fett in der Haut geschmolzen ist und diese ganz kross ist, und das Fleisch ist so zart, dass es sich lautlos von den Knochen löst, wie Seidenstrümpfe von den Beinen einer Frau. Umgeben ist die Gans von Kastanien und karamellisierten Kartoffeln, ebenfalls knusprig von dem goldenen Fett.
    Nico ächzt, halb lustvoll, halb lachend. »Ich glaube, ich bin gerade gestorben und in den Kalorienhimmel gekommen«, sagt er und stürzt sich enthusiastisch auf die Gänsekeule. »So etwas Gutes habe ich seit Mamans Tod nicht mehr gegessen. Mein Kompliment an die Köchin. Wenn ich nicht so superverliebt wäre in die kleine Gespensterheuschrecke hier neben mir, dann würde ich sie sofort heiraten, ohne lange zu überlegen –« Und er fuchtelt freudig mit seiner Gabel und sticht in seiner Ekstase Madame Luzeron (die gerade noch rechtzeitig den Kopf wegdreht) fast das Auge aus.
    Vianne lächelt. So langsam muss der Punsch seine Wirkung zeigen, und sie glüht vom Erfolg. »Vielen Dank«, sagt sie und erhebt sich. »Ich freue mich so, dass ihr alle heute Abend hier seid und ich euch endlich für eure Hilfe danken kann.«
    Na, so was, denke ich. Was haben die anderen eigentlich getan?
    »Ich danke euch dafür, dass ihr hier einkauft, ich danke euch für eure Unterstützung und eure Freundschaft in einer

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