Himmlische Wunder
würzigen Waldgeruch.
Über den ganzen Raum verteilt stehen die traditionellen dreizehn Weihnachtsdesserts in Glasschüsseln, les treizes desserts . Sie glitzern und funkeln, golden und topasfarben, wie Piratenschätze. Schwarzer Nougat für den Teufel, weißer Nougat für die Engel, außerdem Clementinen, Trauben, getrocknete Feigen, Mandeln, Honig, Datteln, Äpfel, Birnen, Quittenmarmelade, Mendiants mit Rosinen und Orangeat sowie Fougasse , mit Olivenöl zubereitet und wie ein Rad in zwölf Stücke aufgeteilt.
Und natürlich die Schokolade – die Bûche de Noël , die in der Küche abkühlt, dazu Nougat mit Krokantfüllung, Celestinen, Schokoladentrüffel, auf der Theke gestapelt und in duftendem Kakaopulver gewälzt.
»Nimm eine«, sage ich und reiche sie ihm. »Du wirst sehen, das ist deine Lieblingssorte.«
Er nimmt die Schokotrüffel mit verträumter Miene entgegen. Das Aroma ist überwältigend und ganz leicht erdig, wie bei Vollmond gesammelte Champignons. Tja, vielleicht befindet sich ja auch ein Stückchen Pilz in dieser Trüffel – meine Spezialrezepte enthalten immer mysteriöse Zutaten –, und außerdem wurde das Kakaopulver kunstvoll präpariert, um lästige kleine Jungs auszuschalten. Dass das Zeichen des Hurakan in das Pulver auf der Theke geritzt wurde, müsste genügen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
»Bis heute Abend beim Fest«, sagt er.
Ich glaube nicht, dass wir uns da sehen, junger Mann. Meine kleine Nanou wird dich natürlich vermissen, aber nicht sehr lange, vermute ich. Denn schon bald wird der Hurakan das Rocher de Montmartre erreichen, und wenn das geschieht, dann –
Ja, wer weiß? Und wenn man es wüsste, würde das die Überraschung verderben, oder?
5
M ONTAG , 24 . D EZEMBER
Heiligabend, 18 Uhr 00
Endlich ist die Chocolaterie geschlossen, und nur das Plakat in der Tür weist noch darauf hin, dass hier etwas los ist.
Weihnachtsfeier – heute Abend, 19 Uhr 30 ! steht da, über einem Muster aus Sternen und Affen.
Verkleidung erwünscht.
Ich weiß immer noch nicht, wie Zozies Kostüm aussieht. Bestimmt supertoll. Aber sie verrät mir nichts. Nachdem ich fast eine Stunde lang in den Schnee hinausgestarrt hatte, wurde ich ungeduldig und ging nach oben, um zu sehen, was sie macht.
Aber als ich in ihr Zimmer trat, erlebte ich eine ziemliche Überraschung. Es war überhaupt nicht mehr Zozies Zimmer! Die Wandbehänge waren abgenommen, der chinesische Morgenmantel hing nicht mehr hinter der Tür, der Lampenschirm war wieder kahl und ohne jeden Schmuck. Sogar ihre Schuhe waren vom Kaminsims verschwunden. Ich glaube, da habe ich den Ernst der Lage endgültig begriffen.
Als ich sah, dass die Schuhe nicht mehr da waren.
Ihre wunderbaren Schuhe.
Auf dem Bett stand ein Koffer, ein kleiner Koffer aus Leder, der aussah, als wäre er schon viel gereist. Zozie war am Packen, und als ich hereinkam, schaute sie mich an, und ich wusste, was sie sagen würde, ohne dass ich sie fragen musste.
»Ach, Nanou«, sagte sie. »Ich wollte es dir sagen. Ehrlich. Aber ich wollte dir nicht das Fest verderben.«
Ich konnte es nicht fassen. »Du gehst heute Abend?«
»Irgendwann muss ich ja gehen«, sagte sie nüchtern. »Und nach dem heutigen Abend ist es nicht mehr so wichtig.«
»Warum?«
Sie zuckte die Achseln. »Hast du nicht den Wind der Veränderung angerufen? Willst du nicht, dass ihr eine Familie seid, du und Roux und Yanne und Rosette?«
»Das heißt doch nicht, dass du gehen musst!«
Sie warf einen einzelnen Schuh in den Koffer. »Du weißt genau, dass das nicht geht. Man muss einen Preis bezahlen, Nanou. Immer.«
»Aber du gehörst doch auch zur Familie!«
Sie schüttelte den Kopf. »Es würde nicht funktionieren. Nicht mit Yanne. Sie hat zu viel an mir auszusetzen. Und vielleicht hat sie ja recht. Wenn ich in der Nähe bin, läuft alles nicht so glatt.«
»Aber das ist nicht fair! Wo gehst du jetzt hin?«
Lächelnd blickte Zozie auf.
»Wohin der Wind mich trägt«, sagte sie.
6
M ONTAG , 24 . D EZEMBER
Heiligabend, 19 Uhr 00
Jean-Loups Mutter hat gerade angerufen, um zu sagen, dass ihr Sohn plötzlich krank geworden ist und leider nicht kommen kann. Anouk ist natürlich enttäuscht und auch ein bisschen um ihn besorgt, aber die Vorfreude auf das Fest überwiegt.
In ihrem roten Umhang mit der Kapuze sieht sie mehr denn je aus wie ein Christbaumschmuck, während sie vor Aufregung hin und her hüpft. »Sind sie noch nicht da?«, fragt sie immer wieder,
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