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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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als alle wieder anfangen zu reden, verwirrt, besorgt und unsicher, dreht sich die stille Frau zu Thierry, diese Dame, deren Namen ich nicht kenne und deren Gesicht jetzt totenbleich ist. Irgendetwas beschäftigt sie, aber sie kann es nicht richtig ausdrücken, und die Augen in ihrem harten Gesicht sind dunkel wie Achate.
    »Wie viel schuldet sie Ihnen, mein Herr?«, fragt sie. »Ich bezahle für sie, samt Zinsen.«
    Thierry starrt sie ungläubig an. »Warum?«
    Die Dame strafft sich, so dass man sieht, wie groß sie eigentlich ist, aber neben Thierry wirkt sie trotzdem wie eine kleine Baumwachtel, die es mit einem Bären aufnehmen will.
    »Sie haben bestimmt das Recht, sich zu beschweren«, sagt sie in ihrem nasalen Pariser Tonfall. »Aber ich habe allen Grund zu der Annahme, dass Vianne Rocher, wer auch immer sie sein mag, für mich sehr viel wichtiger ist als für Sie.«
    »Wieso das denn?«, will Thierry wissen.
    »Ich bin ihre Mutter.«

12

    M ONTAG , 24 . D EZEMBER
    Heiligabend, 23 Uhr 05
    Und das Schweigen, das sie die ganze Zeit wie ein eisiger Kokon umschlossen hat, bricht auf mit einem dumpfen Schrei. Vianne ist nicht mehr blass, nein, ihr Gesicht ist gerötet vom Pulque und von der Verwirrung, und sie tritt vor Madame, um die sich ein kleiner Halbkreis gebildet hat.
    Über ihnen hängt ein Mistelzweig, und ich verspüre den wilden, hemmungslosen Wunsch, zu ihr zu laufen und sie auf den Mund zu küssen. Ach, sie ist so leicht zu manipulieren – wie alle anderen hier auch. Ich kann meine Belohnung schon fast kosten, ich spüre sie im Pulsschlag meines Blutes, kann sie hören wie die Brandung an einem fernen Strand, und sie schmeckt so süß, wie Schokolade –
    Das Jaguar-Zeichen hat viele Eigenschaften. Absolute Unsichtbarkeit ist natürlich unmöglich, aber das Auge und das Gehirn können auf eine Art getäuscht werden, die bei einer Kamera oder beim Film nicht funktionieren würde, und während sie sich jetzt alle nur mit Madame beschäftigen, kann ich mich problemlos davonschleichen – nicht ganz unbemerkt – und meinen Koffer holen, den ich ja schon vorsorglich gepackt habe.
    Anouk folgte mir, womit ich sowieso gerechnet hatte. »Warum hast du das gesagt?«, wollte sie wissen. »Warum hast du gesagt, du bist Vianne Rocher?«
    Ich zuckte die Achseln. »Was habe ich zu verlieren? Ich wechsle meinen Namen wie andere Leute ihr Hemd, Anouk. Ich bleibe nie lange am selben Ort. Das ist der Unterschied zwischen uns. Ichkönnte nie so leben. Ich könnte nie ein anständiges Mitglied der Gesellschaft sein. Mir ist es egal, was die anderen von mir denken, aber für deine Mutter steht sehr viel auf dem Spiel. Erstens Roux und dann Rosette und natürlich der Laden –«
    »Aber wer ist diese Frau?«
    Also erzählte ich ihr die traurige Geschichte von dem Kind in seinem Autositz und von dem kleinen Katzen-Talisman. Offenbar hat Vianne das alles für sich behalten. Was mich nicht weiter wundert.
    »Aber wenn sie gewusst hat, wer sie ist, dann hätte sie ihre Mutter doch finden können, oder?«, sagte Anouk.
    »Vielleicht hatte sie Angst«, antwortete ich. »Oder sie hat sich ihrer Adoptivmutter näher gefühlt. Du suchst dir deine Familie selbst aus , Nanou. Sagt sie das nicht immer? Und vielleicht –« Ich machte eine theatralische Pause.
    »Und vielleicht was?«
    Ich lächelte. »Menschen wie wir sind anders. Wir müssen zusammenhalten, Nanou. Wir müssen uns unsere Familie selbst aussuchen. Und außerdem, wenn sie dich in dem Punkt anlügen kann – woher willst du dann wissen, dass du nicht auch entführt worden bist?«, fragte ich lauernd.
    Ich ließ ihr eine Weile Zeit, um darüber nachzudenken. Im anderen Raum hörte man Madame immer noch reden, ihre Stimme hob und senkte sich, im Rhythmus der geborenen Geschichtenerzählerin. Das hat sie mit ihrer Tochter gemeinsam, aber uns bleibt keine Zeit, um noch länger zu warten. Ich habe alles, meinen Koffer, meinen Mantel, meine Papiere. Wie immer reise ich mit leichtem Gepäck. Dann hole ich Anouks Geschenk aus der Tasche: ein kleines Päckchen in rotem Papier.
    »Ich will nicht, dass du gehst, Zozie!«
    »Nanou, ich habe keine andere Wahl.«
    Das Geschenk leuchtet in dem roten Geschenkpapier. Es ist ein Armband, ein schmales Kettchen aus Silber, glänzend und neu. Und der einzige Glücksbringer, der daran hängt, bildet einen starken Kontrast: Es ist eine kleine, schwarz angelaufene Silberkatze.
    Sie weiß, was das bedeutet, und schluchzt auf.
    »Zozie,

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