Himmlische Wunder
»Hübscher Trick, was?«
Und dann lachte ich auch, weil es natürlich reiner Zufall gewesen war. Niemand hätte vorhersehen können, dass das passierenwürde, aber für mich hatte es so ausgesehen, als hätte Zozie gemacht, dass das Teekännchen umfiel. Die Kellnerin wischte jetzt mühsam alles auf, und die pastellfarbenen Damen waren so mit ihren nassen Schuhen beschäftigt, dass sie keine Zeit mehr hatten, uns zu beobachten oder über Zozies alberne Stiefel zu lachen.
Also bestellten wir Kuchen von der Karte und Kaffee an einer speziellen Kaffeetheke. Zozie aß ein Saint-Honoré – für sie gab es keine Diätvorschriften –, und ich nahm ein Pâté d’amande , und wir tranken beide Vanilla latte . Wir redeten viel länger, als ich gedacht hatte: über Suze und die Schule, über Bücher und Maman und Thierry und die Chocolaterie.
»Das ist doch bestimmt klasse, wenn man in einem Pralinenladen wohnt«, sagte Zozie und begann ihren Saint-Honoré zu essen.
»Nicht so schön wie in Lansquenet.«
Zozie schaute mich fragend an. »Was ist Lansquenet?«
»Da haben wir früher gewohnt. Richtung Süden. Da war es cool.«
»Cooler als in Paris?« Sie schien erstaunt.
Also erzählte ich ihr von Lansquenet und von Les Marauds, wo wir immer am Flussufer gespielt haben, Jeannot und ich, und dann erzählte ich ihr von Armande und von den Leuten am Fluss und von Roux’ Boot mit dem Glasdach und der kleinen Kombüse mit den alten Emailletöpfen. Und wie wir immer Pralinen gemacht haben, Maman und ich, spätabends und ganz früh am Morgen, und wie alles nach Schokolade roch, sogar der Staub.
Danach war ich selbst verblüfft, dass ich so viel geredet hatte. Ich soll eigentlich nicht von Lansquenet erzählen, auch nicht von den anderen Städten, in denen wir gewohnt haben. Aber bei Zozie ist das anders. Bei ihr fühle ich mich gut aufgehoben.
»Wer hilft denn deiner Mutter jetzt, nach Madame Poussins Tod?«, fragte Zozie und löffelte den Schaum von ihrem Latte.
»Wir schaffen es schon«, sagte ich.
»Geht Rosette in den Kindergarten?«
»Noch nicht.« Aus irgendeinem Grund wollte ich nicht mit ihrüber Rosette reden. »Aber sie ist sehr begabt. Sie kann zum Beispiel unheimlich gut zeichnen. Und sie folgt den Wörtern in ihren Bilderbüchern mit dem Finger.«
»Sie sieht dir nicht besonders ähnlich«, sagte Zozie.
Ich sagte nichts und zuckte die Achseln.
Zozie musterte mich mit blitzenden Augen, als wollte sie noch etwas sagen, aber sie schwieg. Als sie ihren Latte ausgetrunken hatte, sagte sie: »Es ist bestimmt nicht leicht, so ohne Vater.«
Ich zuckte wieder nur die Achseln. Selbstverständlich habe ich einen Vater – wir wissen nur nicht, wer er ist –, aber das wollte ich Zozie auf keinen Fall sagen.
»Deine Mutter und du, ihr versteht euch gut, stimmt’s?«
»Mhm.« Ich nickte.
»Ihr seht euch sehr ähnlich –« Sie verstummte und lächelte mit gerunzelter Stirn, als würde sie versuchen, ein Problem zu lösen, das sie verwirrte. »Und du hast irgendetwas Besonderes, Annie. Ich kann es nicht genau beschreiben –«
Darauf ging ich natürlich nicht ein. Schweigen ist weniger gefährlich, sagt Maman, denn wenn du etwas sagst, kann das immer gegen dich verwendet werden.
»Auf jeden Fall bist du kein Klon, so viel ist sicher. Ich wette, du weißt ein paar Tricks –«
»Tricks?« Ich dachte an die Kellnerin und an den verschütteten Zitronentee. Ich schaute weg, weil ich mich auf einmal wieder komisch fühlte. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn die Rechnung gekommen wäre, dann hätte ich mich verabschieden und ganz schnell nach Hause laufen können.
Aber die Bedienung übersah uns geflissentlich und redete lieber mit dem Mann an der Kaffeetheke, lachte und warf ihre Haare zurück, so wie Suze, wenn Jean-Loup Rimbault (so heißt der Junge, den sie gut findet) in der Nähe ist. Außerdem habe ich bei Kellnerinnen schon öfter beobachtet, dass sie einen zwar schnell bedienen, aber nie die Rechnung bringen wollen.
Da machte Zozie eine kleine Teufelsgabel mit den Fingern, ganz unauffällig, so dass ich es fast nicht gemerkt hätte. Ein Miniteufelszeichen,als würde sie einen Schalter anknipsen, und die Kellnerin, die aussah wie Jeanne Moreau, drehte sich um, als hätte jemand sie gepikst, und brachte uns sofort auf einem kleinen Tablett die Rechnung.
Zozie lächelte und holte ihren Geldbeutel heraus. Jeanne Moreau wartete, mit gelangweilter, leicht beleidigter Miene. Ich erwartete
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