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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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sogar Schwierigkeiten, Françoise zu erkennen – Zauber kommt auf Zelluloid nicht gut rüber, was auch der Grund ist, weshalb ich nie versucht habe, im Filmgeschäft Karriere zu machen, und das Foto sieht weniger aus wie Françoise als wie ein Mädchen, das ich früher einmal kannte, das Mädchen, das in St.-Michael’s-on-the-Green immer Es sein musste.
    Ich denke nicht mehr oft an dieses Mädchen. Armes Kind, mit seiner schlechten Haut und mit der verrückten Mutter, die Federn in den Haaren trug. Hatte dieses Mädchen überhaupt eine Chance?
    Na ja, sie hatte genauso eine Chance wie alle anderen auch, die Chance, die man am Tag seiner Geburt zugeteilt bekommt, die einzige, die es gibt – aber manche Leute verbringen ihr ganzes Leben damit, sich zu beklagen, sie schieben alles auf die Karten, die ihnen zugeteilt wurden, und wünschen sich, sie hätten ein besseres Blatt bekommen, während wir anderen mit den Karten spielen, die wir auf der Hand haben, indem wir den Einsatz ständig steigern, jeden nur denkbaren Trick anwenden und betrügen, wo wir nur können –
    Und gewinnen. Und gewinnen. Und nur darauf kommt es an. Ich gewinne sehr gern. Ich bin eine ausgezeichnete Spielerin.
    Womit wir wieder bei der Frage wären: Wo anfangen? Annie könnte ein bisschen Hilfe vertragen – etwas, um ihr Selbstvertrauen zu stärken und sie auf die richtige Bahn zu bringen.
    Die Namen und Symbole von Eins-Jaguar und Hasenmond, mit einem Marker unten auf die Schultasche geschrieben, dürften ihre Wirkung auf Annies soziale Fähigkeiten nicht verfehlen; aber ich glaube, sie braucht noch ein bisschen mehr. Und deshalb gebe ichihr auch den Hurakan mit, den Rächer, um all das wettzumachen, was sie aushalten muss, wenn sie Es ist.
    Nicht, dass Annie das so sehen würde. Natürlich nicht. Bei diesem Mädchen ist ein betrüblicher Mangel an Bosheit zu beobachten: Eigentlich will sie nur, dass alle Leute sich gut verstehen und Freunde sind. Aber ich bin mir sicher, dass ich sie davon heilen kann. Rache ist eine Droge, die süchtig macht, und wenn man sie erst einmal gekostet hat, lässt sie einen nie mehr los. Ich muss es schließlich wissen.
    Es ist normalerweise nicht meine Art, Wünsche zu erfüllen. Bei mir heißt es: Jede Hexe für sich. Aber Annie ist etwas ganz Besonderes – eine Pflanze, die, wenn sie gepflegt wird, spektakuläre Blüten treiben kann. Bei meiner Arbeit bietet sich selten die Gelegenheit, kreativ zu sein. Die meisten Fälle sind leicht zu knacken; man braucht nicht viel Geschick, weil schon ein kleiner Zauberspruch genügt.
    Außerdem kann ich zur Abwechslung mitfühlen. Ich weiß noch genau, wie es war, jeden Tag Es zu sein. Und ich erinnere mich daran, wie schön es ist, Rechnungen zu begleichen.
    Das wird ein Spaß.

4

    S AMSTAG , 17 . N OVEMBER
    Der fette junge Mann, der pausenlos redet, heißt Nico. Das hat er mir heute Nachmittag gesagt, als er in den Laden kam, um zu sehen, was es Neues gibt. Yanne hatte gerade eine Portion Kokostrüffel gemacht, und die ganze Luft duftete danach – dieser würzige, erdige Geruch, der sich in der Kehle verfängt. Ich glaube, ich sagte schon, dass ich Schokolade eigentlich nicht mag – aber dieser Duft erinnert mich an das Aroma der Räucherstäbchen im Laden meiner Mutter, er ist süß, sinnlich und aufregend und wirkt auf mich wie eine Droge, er macht mich übermütig, rücksichtslos, impulsiv – mit dem Effekt, dass ich eingreifen will.
    »Hallo, Mademoiselle! Ihre Schuhe gefallen mir. Tolle Schuhe. Fabelhafte Schuhe.« So begrüßte mich der fette Nico. Er ist noch keine zwanzig, würde ich schätzen, und wiegt sicher hundertfünfzig Kilo, hat lockige Haare, die bis zu den Schultern gehen, und ein aufgedunsenes, verquollenes Gesicht, wie ein Riesenbaby, das immer so aussieht, als würde es gleich loslachen oder – in Tränen ausbrechen.
    »Oh – vielen Dank«, sagte ich. Die Schuhe gehören zu meinen Favoriten: hochhackige Pumps aus den fünfziger Jahren, grünes Veloursleder, schon etwas verblasst, mit Schleifchen und schimmernden Schnallen …
    Man kann den Charakter eines Menschen oft an den Schuhen erkennen. Nicos Schuhe waren zweifarbig, schwarz und weiß, gute Qualität, aber an den Fersen heruntergetreten wie Slipper, als wäre es ihm zu viel Mühe, sie richtig anzuziehen. Ich vermute, dass ernoch zu Hause wohnt – typischer Fall von Muttersöhnchen – und durch den Umgang mit seinen Schuhen stumm rebelliert.
    »Wonach riecht es hier?«

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