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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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ziemlichabgewetzt, aber dafür bequem, und ich habe vor, ihn in den nächsten paar Tagen etwas aufzumotzen, genau wie den ganzen Laden.
    »Probieren Sie eine«, schlug ich vor. »Ein Geschenk des Hauses.«
    Ihre Augen begannen zu leuchten. »Eigentlich darf ich das nicht, wissen Sie.«
    »Ich halbiere sie. Wir teilen sie uns einfach«, sagte ich und setzte mich auf die Armlehne des Sessels. Es ist ganz einfach, mit dem Fingernagel das verführerische Zeichen der Kakaobohne einzuritzen, und doppelt einfach, sie durch den Rauchenden Spiegel anzuschauen, während sie an ihrer Trüffel knabberte wie ein Vögelchen.
    Ich kenne sie gut. Frauen wie sie habe ich schon oft gesehen. Ein ängstliches Kind, das sich immer der Tatsache bewusst ist, dass es nie gut genug sein kann, weil es nicht so ist wie die anderen. Ihre Eltern sind gute Menschen, aber sie sind ehrgeizig, sie stellen hohe Ansprüche, sie geben klar und deutlich zu verstehen, dass Versagen unerwünscht ist und dass für sie und ihr kleines Mädchen nur Höchstleistungen zählen. Eines Tages isst sie nichts zum Abendessen. Sie fühlt sich großartig – als wäre sie auf einmal alle Ängste los, die sie belastet haben. Sie lässt auch das Frühstück aus, und ihr ist ganz schwindelig von diesem neuen, befreienden Gefühl der Kontrolle. Sie testet sich selbst und befindet, dass sie zu viele Mängel hat. Sie belohnt sich selbst dafür, dass sie so brav ist. Und da ist sie jetzt – ein braves Mädchen, das sich solche Mühe gibt –, einundzwanzig, aber sie sieht aus wie dreizehn, und sie ist immer noch nicht gut genug, immer noch nicht ganz angekommen.
    Sie aß die ganze Trüffel. »Mmmm«, machte sie.
    Ich sorgte dafür, dass sie mitbekam, wie ich auch eine aß.
    »Es ist bestimmt nicht leicht, hier zu arbeiten.«
    »Inwiefern nicht leicht?«
    »Ich meine, es ist gefährlich.« Sie wurde rot. »Ich weiß, das klingt dumm, aber für mich wäre es sehr schwer, wenn ich den ganzen Tag Pralinen sehen müsste – wenn ich sie anfassen müsste –, und dann riecht es auch noch immer nach Schokolade –«Ihre Schüchternheit legte sich ein wenig. »Wie machen Sie das? Warum essen Sie nicht den ganzen Tag Pralinen?«
    Ich grinste. »Wieso denken Sie, dass ich nicht dauernd Pralinen esse?«
    »Sie sind so schlank«, sagte Alice (in Wirklichkeit wiege ich sicher zwanzig Kilo mehr als sie).
    Ich musste lachen. »Verbotene Früchte«, sagte ich. »Viel verführerischer als alles andere. Hier, nehmen Sie noch eine.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Schokolade«, sagte ich. » Theobroma Cacao , die Speise der Götter. Man macht sie mit gemahlenen Kakaobohnen, Chili, Zimt und gerade genug Zucker, um die Bitterkeit zu übertönen. So haben schon die Maya Schokolade gemacht, vor mehr als zweitausend Jahren. Sie verwendeten sie bei Zeremonien, um Mut zu schöpfen. Sie gaben ihren Opfern Schokolade zu essen, ehe sie ihnen das Herz aus der Brust rissen. Und sie aßen sie bei ihren Orgien, die viele Stunden dauerten.«
    Alice staunte mich mit großen Augen an.
    »Sie sehen – Schokolade kann gefährlich sein.« Ich lächelte. »Man sollte besser nicht zu viel davon essen.«
    Ich lächelte immer noch, als sie mit einer Schachtel mit zwölf Trüffeln den Laden verließ.
    Und dann eine Mitteilung aus einem anderen Leben:
    Françoise Lavery kam in der Zeitung. Anscheinend habe ich mich geirrt, was die Qualität der Überwachungskameras in der Bank betrifft; die Polizei konnte nämlich ein paar relativ gute Fotos von meinem letzten Besuch vorlegen, und der eine oder andere Kollege erkannte Françoise. Selbstverständlich ergaben die weiteren Nachforschungen, dass gar keine Françoise existierte und dass ihre Geschichte von Anfang bis Ende erfunden war. Die Fortsetzung ist einigermaßen vorhersehbar. In der Abendzeitung wurde ein körniges Passfoto der Verdächtigen veröffentlicht, gefolgt von mehreren Artikeln, die nahelegten, dass Françoise für ihr Rollenspiel womöglich viel verwerflichere Motive hatte als nurGeld. Es könnte sogar sein, so schrieb der Paris-Soir , dass sie eine Nymphomanin war, die es auf Schuljungen abgesehen hatte.
    Und wenn schon, aber so was gibt gute Schlagzeilen, und ich gehe davon aus, dass ich das Foto noch ein paar Mal zu sehen bekomme, bis sich der Nachrichtenwert der Geschichte abgenutzt hat. Nein, beunruhigt bin ich nicht. Niemand würde in dieser grauen Maus Zozie de l’Alba erkennen. Die meisten meiner ehemaligen Kollegen hätten wahrscheinlich

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