Himmlische Wunder
kann. Klar, meines war eher eine Art Leuchtfeuer, das in die Straßen von Paris hinausstrahlt.
Nimm mich. Iss mich. Genieß mich .
Es funktioniert; heute kamen sowohl neue Leute als auch Stammkunden, und keiner ging wieder, ohne etwas gekauft zu haben – eine Geschenkpackung mit Schleife oder eine kleine Leckerei. Eine Zuckermaus, eine Brandypflaume, ein paar Mendiants oder ein Kilo unserer bittersten Trüffel, locker in Kakaopulver gewälzt, wie Schokoladenbomben, die demnächst explodieren.
Natürlich ist es noch zu früh, um von Erfolg zu sprechen. Vor allem bei den Einheimischen braucht es länger, sie zu verführen. Aber ich spüre, wie die Atmosphäre umschlägt. Spätestens an Weihnachten haben wir sie alle auf unserer Seite.
Und ich habe am Anfang gedacht, hier gibt es nichts für mich zu holen! Dieser Laden ist ein Geschenk. Er fasziniert mich total. Wenn ich mir überlege, was wir hier alles sammeln können – nicht nur Geld, sondern Geschichten, Menschen, ganz verschiedene Leben –
Wir? Ja, natürlich. Ich bin bereit, alles zu teilen. Wir drei – oder vier, wenn wir Rosette mitzählen – haben alle unsere spezifischen Talente. Wir könnten etwas ganz Fantastisches auf die Beine stellen. Sie hat das ja schon einmal gemacht, in Lansquenet. Ja, sie hat ihre Spuren verwischt, aber nicht gründlich genug. Der Name – Vianne Rocher – und die Details, die ich von Annie erfahren habe, reichten aus, um ihren Pfad zu rekonstruieren. Der Rest war simpel,ein paar Ferngespräche, ein paar alte Lokalzeitungen aus der Zeit vor vier Jahren – in einer der Zeitungen ist ein körniges, vergilbtes Foto von Vianne, wie sie energisch in der Tür eines Schokoladengeschäfts steht, und unter ihrem ausgestreckten Arm schaut ein zerzaustes kleines Wesen hervor – Annie natürlich.
La Céleste Pralin e. Interessanter Name. Vianne Rocher war früher durchaus lustig und eigenwillig, obwohl man das nicht denken würde, wenn man sie heute sieht. Damals hatte sie keine Angst; sie trug rote Schuhe und klimpernde Armreifen und hatte lange, wilde Haare wie eine Zigeunerin aus einem Comicheft. Nicht unbedingt eine Schönheit – ihr Mund ist zu breit, ihre Augen sind nicht groß genug –, aber jede Hexe, die ihr Buch mit Zaubersprüchen verdient, kann sehen, dass sie voller Magie steckte. Magie, mit der sie es schaffte, ein Leben zu beeinflussen, andere zu verzaubern, zu heilen, sich zu verbergen.
Und – was ist passiert?
Hexen hängen doch nicht einfach ihren Job an den Nagel, Vianne! Eine Begabung wie die unsere will angewandt werden.
Ich beobachte sie, wie sie hinten in der Küche arbeitet. Sie macht ihre Trüffel, ihre Likörpralinen. Ihre Aura ist inzwischen heller als bei unserer ersten Begegnung, und jetzt, da ich weiß, wo ich hinsehen muss, entdecke ich in allem, was sie tut, ihren Zauber. Sie scheint sich dessen überhaupt nicht bewusst zu sein; es ist, als könnte sie sich blind stellen, als könnte sie verleugnen, wer sie ist, indem sie es lange genug ignoriert, so wie sie die Totems ihrer Kinder ignoriert. Vianne ist doch nicht dumm – weshalb verhält sie sich dann so? Und was muss man tun, um ihr die Augen zu öffnen?
Sie verbrachte den ganzen Vormittag hinten. Kuchenduft wehte nach vorn. In weniger als einer Woche hat sich der Laden komplett verändert, man erkennt ihn kaum wieder. Unser Tisch und unsere Stühle, von den Kindern mit den Händen angemalt, verleihen ihm so ein Flair von Urlaub. Irgendwie erinnern die kräftigen Primärfarben an einen Schulhof, und egal, wie ordentlich alles aufgeräumt ist, es wirkt immer leicht chaotisch. An der Wand hängen Bilder, gerahmte, umhäkelte Quadrate aus Saristoff, in Neonpinkund Zitronengelb. Wir haben auch zwei alte Polstersessel, die ich aus dem Sperrmüll geangelt habe; die Federn sind kaputt und die Beine krumm, aber ich habe sie frisch bezogen, plüschigen Stoff mit einem fuchsienroten Leopardenmuster habe ich genommen, dazu ein bisschen Goldgeklimper von der Heilsarmee, und jetzt sehen sie richtig gemütlich aus.
Annie liebt diese Sessel. Ich auch. Bis auf die Größe des Ladens sieht unsere Chocolaterie aus wie ein Café in einem der angesagten Viertel von Paris – und der Zeitpunkt könnte nicht günstiger für uns sein.
Vor zwei Tagen hat das Le P’tit Pinson zugemacht (nicht vollkommen unerwartet), weil es einen unglücklichen Fall von Lebensmittelvergiftung gab und einen Kontrollbesuch der zuständigen Behörde. Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher