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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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nach Zedernholz und Patschuli, nach Schokolade und Teer und Wolle und nach dem einmaligen Duft, der nur ihm gehört, so wenig greifbar und doch so vertraut wie ein Traum, den man immer wieder träumt.
    »Ich weiß«, sagte ich.
    Trotzdem konnte ich ihn nicht loslassen. Ein Wort hätte genügt, eine Warnung: Ich bin jetzt mit Thierry zusammen. Bring bitte nicht alles durcheinander . Irgendetwas anderes zu sagen war sinnlos und von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Aber –
    »Es tut so gut, dich zu sehen, Vianne.« Seine Stimme war leise und zärtlich, aber dennoch seltsam durchdringend.
    Ich lächelte. »Es tut so gut, dich zu sehen, Roux. Aber warum ausgerechnet jetzt? Nach all der Zeit?«
    Wenn Roux mit den Achseln zuckt, drückt das sehr viel aus. Teilnahmslosigkeit, Verachtung, Nichtwissen, Belustigung. Auf jeden Fall rutschte mein Kopf aus seiner schönen Mulde heraus, und ich landete wieder auf dem Boden der Wirklichkeit.
    »Würde es was ändern, wenn du wüsstest, warum?«
    »Vielleicht.«
    Wieder zuckte er die Achseln. »Es gibt keinen speziellen Grund«, sagte er. »Bist du glücklich hier?«
    »Ja, natürlich.« Es ist genau das, was ich mir schon immer gewünscht habe. Der Laden, das Haus, Schulen für die Kinder. Der Blick aus meinem Fenster, jeden Tag. Und Thierry.
    »Es ist nur so, dass ich mir dich nie hier vorgestellt habe. Ich dachte, es ist bloß eine Frage der Zeit, und eines Tages würdest du –«
    »Was? Zur Vernunft kommen? Aufgeben? Wieder nur von Tag zu Tag leben, immer in Bewegung, von einem Ort zum andern ziehen, wie du und die anderen Flussratten?«
    »Ich bin lieber eine Ratte als ein Vogel im Käfig.«
    Er ärgert sich, dachte ich. Seine Stimme war immer noch leise, aber sein südfranzösischer Akzent wurde stärker, wie immer, wenn er in Rage kommt. Ich merkte, dass ich vielleicht genau das wollte, um ihn in eine Konfrontation zu zwingen, die uns beiden keine Wahl ließe. Der Gedanke tat weh, aber womöglich traf er ins Schwarze. Spürte er das auch? Jedenfalls schaute er mich an und grinste plötzlich breit.
    »Was ist, wenn ich dir sage, dass ich mich verändert habe?«, fragte er.
    »Du hast dich nicht verändert.«
    »Das kannst du doch gar nicht wissen.«
    Oh, doch, ich weiß es . Und es tut mir in der Seele weh, wenn ich ihn sehe – er ist immer noch derselbe. Aber ich habe mich verändert. Meine Kinder haben mich verändert. Ich kann nicht mehr einfach tun und lassen, was mir gerade einfällt. Und ich will –
    »Roux«, sagte ich. »Ich freue mich sehr, dich zu sehen. Es ist schön, dass du gekommen bist. Aber es ist zu spät. Ich bin mit Thierry zusammen, Und er ist wirklich nett, wenn man ihn näher kennenlernt. Er hat so viel für Anouk und Rosette getan.«
    »Und du liebst ihn?«
    »Roux, bitte –«
    »Ich habe dich gefragt, ob du ihn liebst.«
    »Ja, natürlich.«
    Wieder dieses verächtliche Achselzucken. »Herzlichen Glückwunsch, Vianne.«
    Ich ließ ihn gehen. Was hätte ich sonst tun sollen? Er kommt zurück, dachte ich. Er muss zurückkommen. Aber bis jetzt ist er nicht gekommen. Er hat nichts hinterlassen, keine Adresse, keine Telefonnummer – wobei ich mich allerdings sehr wundern würde, wenn er Telefon hätte. Soviel ich weiß, hat er noch nie im Leben auch nur einen Fernseher besessen, er schaut lieber hinauf in den Himmel, sagt er, das ist ein Schauspiel, das ihn nie langweilt, und es gibt keine Wiederholungen.
    Wo er jetzt wohnt? Auf einem Boot, hat er zu Anouk gesagt. Auf einem Lastkahn, der die Seine hochfährt, würde ich denken. Das ist das Wahrscheinlichste. Oder vielleicht wieder auf einem Hausboot, vorausgesetzt, er hat ein preiswertes gefunden. Ein altes Wrack vielleicht, an dem er jetzt arbeitet. Zwischen zwei Jobs präpariert er es für seine Zwecke. Mit Booten hat Roux endlos viel Geduld. Aber mit Menschen …
    »Kommt Roux heute wieder, Maman?«, wollte Anouk beim Frühstück wissen.
    Sie hatte bis zum Morgen gewartet, ehe sie fragte. Aber Anoukspricht selten spontan. Sie brütet und grübelt, und dann erst redet sie, auf diese feierliche, vorsichtige Art, wie eine Fernsehkommissarin, die endlich der Wahrheit auf die Spur gekommen ist.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Das ist seine Entscheidung.«
    »Möchtest du gern, dass er kommt?« Hartnäckigkeit war schon immer eine von Anouks hervorstechenden Eigenschaften.
    Ich seufzte. »Es ist schwierig.«
    »Wieso denn? Hast du ihn nicht mehr gern?« Ich hörte den provokativen

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