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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Unterton in ihrer Stimme.
    »Nein, Anouk. Das ist nicht der Grund.«
    »Was dann?«
    Fast hätte ich laut gelacht. Bei ihr klingt alles so unkompliziert, als wäre unser Leben kein Kartenhaus, bei dem jede Entscheidung genau abgewogen werden muss gegen eine Unzahl anderer Entscheidungen, Karten, die wackelig aufeinander aufbauen und die bei jedem Atemzug zusammenfallen können.
    »Hör zu, Nanou. Ich weiß, du magst Roux. Ich mag ihn auch. Ich mag ihn sogar sehr. Aber du darfst nicht vergessen –« Ich suchte nach Worten. »Roux tut, was er will, schon immer. Er bleibt nie lange an einem Ort. Das ist in Ordnung, weil er allein ist. Aber wir drei brauchen mehr als das.«
    »Wenn wir mit Roux zusammenleben würden, dann wäre er nicht allein«, entgegnete Anouk sehr logisch.
    Jetzt musste ich lachen, obwohl mir das Herz wehtat. Roux und Anouk sind sich so ähnlich. Beide denken in Prinzipien. Beide sind stur, geheimnistuerisch und schrecklich empfindlich und nachtragend.
    Ich versuchte zu erklären. »Er ist gern allein. Er lebt das ganze Jahr auf dem Fluss, er schläft im Freien. In einem normalen Haus fühlt er sich nicht wohl. Wir könnten so nicht leben, Nanou. Das weiß er. Und du weißt es auch.«
    Sie musterte mich mit dunklen Augen. »Thierry hasst ihn. Ich habe das genau gemerkt.«
    Na ja, gestern Abend ist das vermutlich allen aufgefallen. Dieselärmende, übertriebene Munterkeit, seine offene Verachtung, seine Eifersucht. Aber das ist nicht typisch für Thierry, sage ich mir. Irgendetwas muss ihn aus dem Takt gebracht haben. Die kleine Szene im La Maison Rose ?
    »Thierry kennt ihn nicht, Nou.«
    »Thierry kennt uns alle nicht.«
    Sie ging wieder nach oben, ein Croissant in jeder Hand und mit einer Miene, die eine Fortsetzung der Diskussion ankündigte. Ich ging in die Küche, machte Schokolade, setzte mich hin und schaute zu, wie sie abkühlte. Ich dachte an den Februar in Lansquenet, an die blühenden Mimosen am Tannes und an die Flusszigeuner in ihren langen, schmalen Booten, so zahlreich und so dicht beieinander, dass man fast ans andere Ufer gehen könnte.
    Und da ist ein Mann, der für sich allein sitzt und den Fluss vom Dach seines Bootes beobachtet. Eigentlich gar nicht anders als die anderen, und trotzdem hatte ich es sofort gewusst. Manche Menschen leuchten. Er gehört zu diesen Menschen. Und selbst jetzt, nach all den Jahren, spüre ich, wie ich wieder von dieser Flamme angezogen werde. Wenn Anouk und Rosette nicht wären, dann wäre ich ihm gestern Abend vielleicht gefolgt. Schließlich gibt es Schlimmeres als Armut. Aber ich schulde meinen Kindern etwas. Deshalb bin ich hier. Und ich kann nicht wieder Vianne Rocher sein, ich kann nicht zurück nach Lansquenet. Nicht einmal wegen Roux. Nicht einmal meinetwegen.
    Ich saß noch da, als Thierry hereinkam. Es war neun Uhr und immer noch nicht richtig hell; von draußen hörte ich den Straßenlärm, gedämpft in der Ferne, und das Bimmeln der Glocken von der kleinen Kirche an der Place du Tertre.
    Er setzte sich mir gegenüber und schwieg. Sein Mantel roch nach Zigarrenrauch und nach dem Pariser Nebel. Eine halbe Minute lang sagte er kein Wort, dann legte er seine Hand auf meine.
    »Ich wollte mich entschuldigen – wegen gestern Abend«, sagte er.
    Ich nahm meine Tasse und blickte hinein. Offenbar hatte dieMilch gekocht, denn auf der abgekühlten Schokolade hatte sich eine runzlige Haut gebildet. Wie unaufmerksam von mir, dachte ich.
    »Yanne«, sagte Thierry.
    Ich schaute ihn an.
    »Es tut mir wirklich leid«, sagte er. »Aber ich war im Stress. Ich wollte, dass alles für dich perfekt ist. Ich wollte mit euch allen zum Mittagessen gehen und dir dann von der Wohnung erzählen und dass ich es geschafft habe, einen Hochzeitstermin zu bekommen – ob du’s glaubst oder nicht, in derselben Kirche, in der schon meine Eltern geheiratet haben.«
    »Wie bitte?«
    Er drückte meine Hand. » Notre-Dame des Apôtres . In sieben Wochen. Jemand hat abgesagt, und ich kenne den Pfarrer – ich habe vor einiger Zeit mal einen Auftrag für ihn erledigt.«
    »Wovon redest du?«, fragte ich. »Du blaffst meine Kinder an, du bist unhöflich zu meinem Freund, du verschwindest wortlos, und dann erwartest du von mir, dass ich in Jubel ausbreche, wenn du mir von Wohnungen und Hochzeitsterminen erzählst?«
    Thierry grinste kleinlaut. »Entschuldige«, murmelte er. »Ich will mich ja nicht über dich lustig machen, aber du benutzt das Handy immer noch nicht,

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