Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben

zum Ja. Sie erlaubt es uns, auch dasjenige als Teil unserer selbst anzunehmen, was unser Ich ablehnt und ausgrenzt. Die liebende Seele grenzt nichts aus. Sie lehnt nichts ab. Sie integriert. Und sie liebt es, wenn das Konzert der inneren Stimmen in ihr zu einem harmonischen Chorgesang wird. Denn in ihr gilt eine andere Logik als auf der Ich-Oberfläche. Während das Ich sich in seiner Schwarz-Weiß-Malerei des Entweder-oder gefällt, folgt die Seele der Logik des Sowohl-als-auch. Sie ist das, was Nikolaus von Kues die
Coincidentia oppositorum
nannte: der Zusammenfall der Widersprüche. Das ist so, weil ihr Wesen die Liebe ist – und weil die Liebe umso mächtiger wird, je mehr wir infolge seelischer Reife uns unserer selbst bewusst werden.
    Und je mehr uns dies – vermöge eines immer mutigeren und reiferen Eros – gelingt, desto mehr bringen wir das in uns angelegte Potenzial zur Blüte und werden glücklich. Nur so kommen wir mit uns und unseren Mitmenschen ins Reine. Und nur wo wir mit uns im Reinen sind und vorbehaltlos Ja zu uns sagen können, kommen unsere Wünsche und Sehnsüchte zur Ruhe. Nur wo wir wunschlos sind, können wir auch glücklich sein.
    Dieses Glück ist dann mehr als die kurzatmigen Freuden des Ich, die sich immer dann einstellen, wenn ein Ziel erreicht, eine neue Habe erworben und eine vermeintliche Sicherheit gefunden wurde. Es ist das Glück, das daraus erwächst, dass wir uns und die Welt als sinnvoll erleben; dasswir die Welt und uns gutheißen und gut sein lassen, weil wir mit uns und der Welt im Reinen sind. Das aber, und darauf kommt es mir an, kann nur die Seele, weil nur sie kraft der in ihr mächtigen Liebe das große Ja aussprechen kann.
    Solange es aber Verschattungen, Abgespaltenes, Verdrängtes in uns gibt – solange es Facetten unseres Daseins gibt, die nicht durch das Licht der Liebe ins Seelenbewusstsein gebracht, anerkannt und wertgeschätzt sind, werden wir nicht ins Reine kommen: nicht mit uns und nicht mit anderen. Denn der Einklang und die Harmonie unseres Miteinanders mit Anderen hängen wesentlich daran, dass wir mit uns selbst im Einklang sind. Und das ist nur dann möglich, wenn es immer weniger in uns gibt, das wir ablehnen oder verurteilen müssten. Das Ich muss in seiner Urteilsdynamik gänzlich zum Erliegen kommen, wenn wir in unserer Seele wirklich heimisch werden wollen. Gelingt uns dies, dann werden wir nicht nur bei uns selbst, sondern auch unter den Menschen zuhause sein. Erst wenn wir unsere eigenen „problematischen“ Anteile bejahen können, werden wir sie auch an anderen bejahen können; dann werden wir sie nicht mehr auf andere projizieren und in deren Gestalt verurteilen. Oder anders gesagt: Wenn wir das Sowohl-als-auch, den Zusammenfall der Gegensätze, kraft der Liebe in unserer Seele aushalten können, dann können wir auch mit der Widersprüchlichkeit zwischen den Menschen zurechtkommen und sie im großen Sowohl-als-auch unserer Seele integrieren.
    Langer Rede kurzer Sinn: Im Seelenbewusstsein erfahren wir uns selbst umfassend als fühlendes, spürendes, denkendes, umfassendes System aus Leib und Geist, als Einheit zahlreicher, oft widersprüchlicher Aspekte unseres Daseins und unserer Individualität, als großer Chor unserer inneren Stimmen, als stimmige Mitte eines Geflechtes miteinander verbundener Menschen.
    Und wenn du jetzt fragst, „Wie komme ich dahin? Wie komme ich aus dem Ich-Bewusstsein ins Seelenbewusstsein?“, dann ist meine Antwort: Naja, eben indem du dich in die Liebe fallen, vom Eros hinreißen lässt. Und das Geniale ist: Je weiter du dich fallen lässt, desto mehr wirddeine Seele von Liebe erfüllt sein, bis dein Seelenwürfel ganz und gar von ihr durchdrungen ist; wie ein Lichtobjekt, das bis in die letzte Ritze von innen heraus leuchtet. Dann bist du in der Liebe, dann du bist ganz bei dir und in dir, dann bist du ganz bei den anderen (mit denen du in Verbindung stehst), dann bist du ganz bei Gott, der dich in allem umgibt. Als du das erste Mal in die Liebe fielst, da begannst du diesen Prozess. Da betratest du diesen heiligen Raum deiner Seele. Weil Eros dir die Tür aufgestoßen hatte. Und so geht es weiter. Wenn du deinem Herzen folgst, wenn du den Mut hast, dich mehr und mehr zu verlieben, dann wirst du in genau dem Maße immer mehr zu dir kommen, in dem du bei allem von dir Geliebten bist.
    Eros – um es bildlich zu sagen – geht auf diesem Weg voran. Er ist dein Führer und Begleiter auf dem Weg in die umfassende