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Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben

Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben

Titel: Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Quarch
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Denn unsere Meinungen und Urteile – politische, moralische, ästhetische – bilden wir nach Maßgabe unseres Willens. Und aus eben diesen Urteilen und Meinungen fügt sich im Ich-Bewusstsein unser Selbstverständnis. Mit ihnen identifizieren wir uns. Sie machen aus, wer wir sind – oder zu sein meinen.
    Diese Meinungen und Selbstdeutungen sind dann Teil unserer Habe, und unsere Habe ist es, durch die wir uns im Ich-Bewusstsein definieren. In ihnen „haben“ wir uns selbst – oder sie geben vor, wie wir uns womöglich gerne hätten. So bildet sich das Ich – die Ansicht, die wir von uns haben.
    Das Ich ist, mit anderen Worten, so etwas wie die äußere Hülle der Seele: die Ansicht, die jede und jeder von sich selbst hat, um sich identifizieren zu können in diesem ständigen Strom des Lebens. Es ist der Garant von Bleibe und Dauer. Das ist wichtig, denn wir brauchen eine klare Vorstellung von dem, wer oder was wir sind, gerade auch um uns zu den Menschen, die wir lieben, ins Verhältnis zu setzen. Angesichts dessen sind wir gut beraten, unserem Ich wohlgesinnt zu sein. Es bringt nichts, gegen das Ich zu kämpfen – zumal der Kampf dagegen am Ende immer in der Ich-Dimension ausgetragen wird. Denn wer kämpft hier gegen wen? Die Seele gegen das Ich? Nein, die Seele kämpft nicht gegen das Ich. Das hat sie nicht nötig. Die Seele neigt dazu, das Ich zu umarmen, zärtlich zu ihm sein und es gut sein zu lassen. Die Seele integriert das Ich, denn sie ist ihrem Wesen nach Liebe. Wenn ich glaube, gegen mein Ich kämpfen oderdas Ich überwinden zu müssen, dann findet in Wahrheit ein innerer Kampf auf der gleichen Ebene in mir statt: Ein Selbstbild tritt gegen ein anderes an – eine innere Stimme möchte der anderen inneren Stimme die Dominanz entreißen. Aber wer oder was zuletzt auch gewinnen mag: Es ist immer nur das Ich. Und das bringt uns nicht weiter. Im Gegenteil.
    Trotzdem ist es nicht verkehrt, dem Ich gegenüber eine gewisse Skepsis walten zu lassen. Denn ihm eignet eine bestimmte Eigenschaft, die sich wie nichts anderes unserer Entfaltung in den Weg stellt. Die Angst. Ja, das Ich schwingt in der Stimmung der Angst. Sie ist wie ein
basso continuo
unseres ganzen Ich-Gehabes: die große Angst, die Habe (mit der wir uns als unserem Sein identifizieren) zu verlieren. Deswegen liebt das Ich nichts so sehr wie stabile und sichere Verhältnisse. Oder anders gesagt: Es hasst den Wandel. Es tut alles, um sich und seine Habe vor Veränderung zu schützen. Es dürstet nach Sicherheit. Es verteidigt die Grenzen und Strukturen, kraft deren es seine Identität fixiert. Und dafür ist ihm jedes Mittel recht: Es bildet sich und etabliert eine grandiose Wissenschaft, es baut ein politisches und wirtschaftliches System, das das Eigentum schützt und den
pursuit of happiness
jedes einzelnen Ego heiligt, es gibt sich eine Moral und ein Recht, deren Gesetze das Ich vor den Übergriffen eines anderen Ich schützen – und es gibt sich eine Religion, die ihm ewig-seligen Bestand in einer jenseitigen Welt in Aussicht stellt. Das ist die Welt des
Ego
(worunter ich so etwas wie ein hypertrophes Ich verstehe, eines, das sich verselbstständigt hat), und ich denke, du merkst sofort, dass es die Welt ist, in der wir alle leben. Heidegger sprach von der „Alltäglichkeit des Daseins“, die geprägt ist vom „Gerede“ und der „Herrschaft des Man“. Die Herrschaft des Man ist der Triumpf des Ego.
    Das Tragische aber ist: das Ich kann seine Angst nie überwinden. Es kann sich so viele Sicherheitssysteme aufbauen, wie es will, zuletzt bleibt doch die Sorge, dass im Fluss des Lebens seine Habe verschwimmt, seine Strukturen zerfallen, seine Grenzen verwischen – dass es sich auflöst und die Kontrolle verliert. Deswegen neigt es dazu, in seinen selbstdefinierten Grenzen zu erstarren. Es neigt dazu, zum Ego zu gerinnen unddie Oberfläche, die es ist, zu betonieren, damit ja nichts aus den tieferen Gründen der Seele hinaufblubbert und das gehegte und gepflegte Selbstbild zerstört.
    Dieses aus Angst gespeiste Sicherheitsbedürfnis des Ich hat Konsequenzen für seine Außenbeziehungen. Auch hier ist es sorgsam darauf bedacht, sich alle Erschütterungen und In-Frage-Stellungen seiner selbst vom Leibe zu halten. „Ein Thor, der noch über Steine oder Menschen stolpert“, lässt Nietzsche im
Zarathustra
seine „Letzten Menschen“ sagen: jene vollkommenen Inkarnationen des zum Ego verselbständigten Ich-Bewusstseins, das für die Welt,

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