Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
einseitige Fixierung auf das Ich (bei der das Ich zum Ego wird). Und auch sie muss nicht so sehr überwunden, als vielmehr transformiert und integriert werden; ganz so wie die eindimensionale Fixierung auf die Sexualität in der Dimension des Körpers.
Wie also transformieren wir unsere Fixierungen auf das Ego? Wie integrieren wir das Ich in ein stimmiges, gutes Leben? Durch Eros. – Nur: Wie geht das?
Schauen wir uns dafür noch einmal näher an, was es mit dem Ich auf sich hat. Das Ich ist – wie wir Philosophen sagen – ein Konstrukt. Es ist gemacht. Es ist das Bild von dir selbst, das du dir selbst geschaffen hast – teils bewusst, teils unbewusst. Es ist die Stimme in dir, die im Chor deiner inneren Stimmen die Oberhand gewonnen hat und diese Oberhand nun behalten will. Das Ich ist eine Kraft in dir, die immer auf Stabilität aus ist und sie dadurch erlangt, dass es sich definiert – von lateinisch
definere
= Grenzen ziehen. Du identifizierst dich mit dem von dir eingegrenzten – definierten – Teilbereich (= Oberfläche) deiner Seele und meinst nun, diese Grenzen verteidigen zu müssen. Klar, denn an ihnen hängt nun deine Identität. Dein Ich existiert also nur dadurch, dass es sich definiert und darin all das ausgrenzt, was nicht in sein Selbstbild passt, auch das, was in der Tiefe der Seele ebenso zu dir gehört; auch dein nicht gelebtes Potenzial.
Das ist, wie gesagt, für sich genommen unproblematisch. Nicht das Ich ist das Problem. Das Problem – beziehungsweise der Fallstrick – liegt allenfalls dort, wo das Ich sich als Ego, also als alleinige Wirklichkeit des Lebens, aufspielt; wenn die Oberfläche des Würfels beansprucht, nicht nur Fläche, sondern selbst der ganze Würfel zu sein; und wenn sie dabei auch noch behauptet, dass es die Dimensionen von Raum und Tiefe überhaupt nicht gibt. So zu leben heißt, in der Unwahrheit zu leben. Denn die Fläche ist nun einmal nur die Fläche eines Körpers; und ein Körper ist nur in dem ihn umgebenden Raum. So zu leben heißt, sich die Chance zu nehmen, zur Blüte des Lebens zu reifen – zu Schönheit, Kraft und innerem Glanz zu gelangen. So zu leben heißt, das in uns angelegte Potenzial zu Glück und Weisheit, zu Erfüllung und Liebe zu vergeuden.
Und – was das Dramatischste ist – so zu leben heißt, in Angst und Schrecken zu leben. Denn das Ich hat ständig Angst. Deshalb ist Angst auch das sicherste Kennzeichen für die Dominanz des Ich. ÄngstlicheMenschen sind fast immer Menschen, die ganz von ihrem Ich dominiert sind und das Bewusstsein für ihre Seele, ihr Herz, das Sein in der Liebe verloren haben. – Warum? – Weil das Ich ständig von der Sorge getrieben ist, seine Identität und Kontrolle zu verlieren, die mühsam erzwungene Stabilität aufzugeben und die Habe und Bleibe, die ihm heilig sind, aufgeben zu müssen. Das verursacht dauernden Stress, das macht krank, das raubt uns unsere Energie.
Kein Wunder also, dass es viele Menschen gibt, die sich nicht oder nicht mehr verlieben wollen; die zwar lieblose sexuelle Freizeitaktivitäten zur Anspannung oder Entspannung ihres Ich schätzen, nicht aber das grenzensprengende In-der-Liebe-Sein. Schlicht, weil der subversive Eros nicht in ihren Karriereplan passt; oder weil sie einfach Angst haben vor seiner unkontrollierbaren Dynamik. Lieber verwenden sie ihre Lebensenergie darauf, ihrem Selbst-Bild zu entsprechen. Die Kraft ihres Willens richten sie allein darauf, dieses Bild ins reale Leben zu übersetzen. Da ist es nur hinderlich, wenn ihnen ein Mensch über den Weg läuft, der sie wirklich hinreißt.
Es gibt jedoch eine Art inneres Ablenkungsmanöver, das weit verbreitet ist: ein „Sich-Verlieben“ in Menschen, von denen man von Anfang an weiß, dass eine Beziehung mit ihnen nie funktionieren wird – sei es wegen der äußeren Umstände, sei es wegen der charakterlichen Dispositionen. Die Strategie, sich in solche Frauen oder Männer zu „verlieben“, von denen man weiß (oder doch wissen könnte), dass eine wirkliche Verbindung nie möglich sein wird, taugt aber nicht fürs Leben. Sie mag zwar zu einer gewissen Stabilität führen, aber untergründig verhindert die Angst des Ich, sich wirklich hinzugeben und in den Ozean der Liebe fallen zu lassen. Also bleibt man am Ufer stehen und bildet sich ein, im Ozean schwimmen zu können, obwohl man doch weiß, dass man es nie tun wird. Das ist kein guter Zustand. Das raubt jede Energie. Es ist wie ein Traum des Ego, mit dem es sich
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