Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
die uns weitgehend abhanden gekommen ist: die Weisheit des Eros, die Weisheit des Herzens.
Diesen Hütern des alten Wissens habe ich weiß Gott viel zu verdanken. Sie haben mich gelehrt, weit und offen zu werden. Sie haben mich ermutigt, die Arme zu öffnen und die Welt zu umarmen; sie in Empfang zu nehmen, in sie hineinzuspüren und zu schauen, was jetzt gerade geboten ist. Und schließlich zu reagieren: von ganzem Herzen, vielleicht mit Tränen, aber ganz sicher auch mit einem herzlichen Lachen.
Ja zum Leben,
Ja zum Tod
True love expresses the sacred promise that love is stronger than death
.
Cynthia Bourgeault
Liebste, je älter wir werden, desto häufiger winkt der Tod in unser Leben. Da war nicht nur der Tod von D., der uns beide erschüttert hat – war sie doch nicht nur meine frühere Partnerin, sondern zuletzt auch deine beste Freundin. Nein, auch andere Freunde sind gestorben. Nun auch noch deine Mutter – kaum ein Monat, in dem uns nicht eine neue traurige Nachricht aus unserem Bekanntenkreis erreicht. Und das wird nicht weniger werden. Der Boden, auf dem wir uns bewegen, ist dünn. Und unter ihm lauern Leid und Schmerz, Angst und Schrecken. Tod. Immer und überall.
Und dennoch ist das Leben schön. Es ist liebenswert. Auch in seinen dunklen Seiten. Wir können es nicht feiern, ohne diese dunklen Seiten im Bewusstsein zu halten. Wir müssen sie integrieren, ernst nehmen, umarmen. Sonst wären wir schlechte Liebhaber und Liebhaberinnen. Gerade erst habe ich Richard Rohr sagen hören, dass genau das ein kraftvolles Ritual von einer schwachen Zeremonie unterscheidet: dass es die Schattenseiten des Lebens sichtbar macht, erträgt und einschließt. Wahrscheinlich liegt darin auch der große Zauber und die ungeheure Kraft, die von den alten Initiationsriten ausgeht, die den jungen Männern schonungslos Wunden zugefügt haben, um sie so hinter die Oberfläche blicken zu lassen – in den Grund und Abgrund der Seele, wo Schrecken und Schönheit, Chaos und Ordnung, Grauen und Freude nebeneinander wohnen und Apollon und Dionysos einander die Hand reichen.
Was ich damit sagen will: Wenn du in der Liebe bist, wirst du vor Trauer und Schmerz nicht davonrennen. Du wirst diese göttliche Tragödie annehmen und mitspielen können. Denn du weißt: Das Leben ist nun einmal unvollkommen, widersprüchlich, aus Freude und Leid gemischt. All das sind Realitäten des Lebens, die zu ignorieren bedeuten würde, das Leben gerade nicht als Fest zu feiern.
Aber das wird dir und mir eben nur dann gelingen, wenn wir wirklich in der Liebe sind, wenn wir uns immer wieder in die Liebe fallen lassen und darin wechselseitig unterstützen. Sobald wir eine Ideologie oder ein Programm daraus machen, geht das Ganze hundertprozentig in die Hose. Denn unser Ich mit seinem Intellekt wird nie dahinkommen, sich an den Tragödien des Lebens zu freuen. Es wird nie mit Alexis Sorbas seine Freude daran haben, wenn alles, was es mühsam aufgebaut hat, in einem Augenblick „wunderschön zusammenkracht“. Diese Freude kommt nur aus der Seele beziehungsweise aus dem Herzen, das sich ins Leben verliebt hat. Es scheut die Tragödie nicht, weil es weiß, dass Licht und Dunkel zusammengehören –
sowohl als auch
. Ohne diese Weisheit werden wir nie dahinkommen, das Leben entspannt als Fest zu feiern.
Dann ist auch das Ich kein Problem mehr. Es hilft uns zwar nicht, wo es um Tod und Tragödie geht, aber es ist uns im Alltag so oft von großem Nutzen. Das Ich ist okay, genauso wie Sex okay ist und Erleuchtung ebenso. All das ist liebenswert. All das ist Leben. Und all das können wir gutheißen und umarmen, wenn wir in der Liebe sind. Warum? Weil für den Blick der Liebe alles Bedeutung hat; auch die Schattenseiten, auch der Tod. Als D. starb, war es allein die Liebe, die uns daran nicht verzweifeln ließ. Denn im Herzen wussten wir, dass selbst das Unfassbare noch in einer größeren Ordnung aufgehoben ist – selbst wenn wir das mit unserem Verstand nicht kapieren konnten. Als ich meinen Job verlor, da war es ebenso die Liebe, die mich nicht in Zorn und Bitterkeit verkümmern, sondern hinter aller Verletztheit ahnen ließ, dass auch das seinen Sinn und seine Bedeutung haben würde. Trauer und Zorn, Bitterkeit und Kummer waren da, kein Thema, aber sie erdrückten mich nicht, weil ichim Herzen ahnte: Es ist okay. Auch diesem Abschied wohnt ein Zauber inne. Alles auf dem Weg. Selbst da noch, wo der Weg zu Ende geht.
Gehört es nicht zu einem guten
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