Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben

Fest dazu, dass es irgendwann zu Ende ist? Und könnten wir ein gutes Fest feiern, ohne dabei zu wissen, dass irgendwann Schluss ist? Solange wir uns vor diesem Ende fürchten, wird ein Missklang darüber liegen, eine atmosphärische Trübung, wie du sie bei fast allen Festen beobachten kannst, die landauf, landab gefeiert werden. Und solange es Feste von Egos sind, wird sich daran auch nichts ändern – weil Egos eben nicht anders können als den Tod, d.h. ihre Auflösung, zu fürchten und ihn deshalb, wo sie nur können, von sich fernhalten. Diese Furcht können wir nur auflösen, wenn wir uns in die Liebe fallen lassen. Darum noch einmal, Liebste: Lass uns dies immer wieder neu wagen! Mit allen Risiken, die das mit sich bringt. Aber auch mit allen Chancen. Denn davon bin ich überzeugt: Nur wer ganz Ja zum Leben sagt, kann dereinst auch ganz Ja zum Sterben sagen. Sterben ist ein Teil des Lebens. Erblüht und verblüht – das ist kein Unterschied mehr. Wäre es nicht schön, wenn wir dereinst auf dem Sterbebett sagen können: „Ich habe gelebt und ich habe geliebt. Ich habe aus dem Vollen geschöpft und die Geschenke des Lebens angenommen. Ich habe in Schönheit geschwelgt und bin dem Leiden nicht ausgewichen. Ich habe nichts ausgeblendet, nichts unterdrückt, aber auch nichts dominieren lassen. Sondern ich habe versucht, die Welt und die Menschen mit dem Herzen zu sehen und mit der Seele zu umarmen. Ja, ich habe geweint und gelacht, das Leben gefeiert und mitgespielt – da, wo es eine Komödie war, und da, wo es eine Tragödie war.“
    Vielleicht gipfelt die Weisheit der erotischen Lebenskunst genau darin, hier keinen Unterschied mehr zu machen. So könnte man wenigstens den Schluss meines „Evangeliums des Eros“ – Platons
Symposium
– deuten, wo erzählt wird, dass ganz zuletzt, als schon alle Gäste im Rausche schlummern, Sokrates mit Aristophanes und Agathon die Frage diskutiert, ob ein guter Tragödienschreiber auch ein guter Komödienschreiber sein müsse. Die beiden Repräsentanten der Zunft fechten tapfer für ihre Profession. Doch die Antwort, die Sokrates – der Meister des Eros – gibt, klingtanders: Wer von Liebe beseelt ist, weiß, dass das Leben immer gleichzeitig Tragödie und Komödie ist – und eine göttliche allemal.
    Wer von Eros beseelt ist, den umweht jene Magie der Heiterkeit, die aus der Freiheit erwächst, die Wahrheit und Schönheit des Lebens vielleicht nicht in allem, aber doch in vielem zu sehen – so dass er oder sie ein tiefes Vertrauen in den Sinn des Leben fassen kann; Vertrauen auch darin, dass das Leben tiefer und größer und weiter ist, als das, was wir in unserer befristeten irdischen Existenz auf Erden je erfahren können.

Alles ist heilig.
Erotische Spiritualität
    An meine Eltern
     
Wo Eros und Religion sich trennen,
wird er gemein und sie erkaltet
.
Walter Schubart
     

     

Confessiones
Unruhig ist unser Herz, bis dass es ruht
in dir
.
Augustinus
     
    Vor mir liegt ein Manuskript: Ich habe darin mein Innerstes nach Außen gekehrt. Ich habe mein Bestes gegeben – die Einsichten, die mir geschenkt wurden, die Lehren, die ich empfangen durfte, die Erfahrungen, die ich in Seminaren und Kursen machte. Und nun bin ich davor, all das öffentlich zu machen. Doch da wird mir klar, dass das noch immer nicht geht, dass ein wichtiger Teil noch fehlt: der Teil, der euch am meisten interessieren wird – und der euch am meisten beunruhigt; der Teil über Religion und Spiritualität. Denn ich weiß, dass es euch verunsichern wird, wenn euer Sohn ein Buch über erotische Lebenskunst veröffentlicht; ich weiß, dass in euch ein gewisses Unbehagen Raum greifen wird, das tief gefühlt aus den Wurzeln eures Lebens aufsteigt: aus eurem Glauben an Gott, eurem Selbstverständnis als Christen. Und ich verstehe das; denn in christlichen Ohren muss es befremdlich, ja anstößig klingen, wenn jemand mit einer erotischen Lebenskunst auftritt oder gar von erotischer Spiritualität redet. Deshalb werde ich weiterschreiben. Deshalb werde ich nun zu euch darüber reden, warum ich davon überzeugt bin, dass ein erotisches Leben – ein Leben, dass dem Motto folgt: „Verliebe dich ins Leben“ – nicht nur ein gutes Leben ist, sondern auch ein im eigentlichen Sinne spirituelles Leben.
    Und, um das Ganze auf die Spitze zu treiben, möchte ich darüber schreiben, warum ich glaube, dass eure Religion auch meine Religion ist; warum ich davon überzeugt bin, dass das Christentum die erotische