Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
Religion par excellence ist – oder sein könnte; denn die (in meinen Augen traurige) Wahrheit ist, dass die Theologen über Jahrhunderte hinweg denEros aus den Kirchen und Hörsälen verbannt haben; dass das real existierende Christentum in Gestalt der großen Kirchen einer schlechten Auslegung des für sie so zentralen Konzeptes „Liebe“ aufgesessen ist; und dass genau darin der Grund und die Wurzeln der ganzen Katastrophen liegen, die sich unlängst in den Kirchen zugetragen und sie weiter geschwächt und in die Kritik gebracht haben. Ja, ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Solange die christlichen Kirchen nicht die Wirklichkeit und Kraft des Eros anerkennen und in ihre Theologie und Spiritualität zurückholen – sie als integralen Teil der Verkündigung Jesu akzeptieren –, wird es für sie im 21. Jahrhundert schwer werden. Wenn es ihnen jedoch gelingt, die Heiligkeit des Eros zu würdigen und solcherart den Weg in ihr eigenes und aller Menschen Herz zu finden, dann wird dieser Religion eine leuchtende Zukunft beschieden sein. Ich denke, dafür zu streiten, ist den Schweiß der Tapferen wert. Und genau das will ich jetzt tun.
Wie komme ich also darauf, dass das Christentum eine erotische Religion ist – eine Religion, die mit der erotischen Lebenskunst, die ich hier skizziere, kompatibel ist? Die Antwort ist einfach: weil das Christentum die Religion der Liebe ist. Ich hoffe, dass wir uns darauf verständigen können. Wenn nicht, dann wird’s schwierig für mich. Aber schaut, alle Spitzensätze des Neuen Testaments handeln von der Liebe. Hier meine Favoriten:
Im 1. Johannesbrief heißt es: „Gott ist die Liebe“ und „wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott ihm“ (1. Joh 4.16) . Klarer geht es nicht, außer vielleicht bei Jesus selbst. Gefragt nach dem höchsten Gebot, sagt der Meister: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Mt 32. 37-39) . Und noch ein Wort gehört hierhin. Paulus: „Nun aber bleiben Glauben, Liebe, Hoffnung, diese drei: Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ (1. Kor 13.13)
Die Liebe ist größer als Glaube und Hoffnung, die Liebe ist die Summe des Gesetzes, die Liebe ist Gott. Wer wollte, wenn man das hört, bestreiten, dass das Christentum tatsächlich die oder wenigstens doch eine Religion der Liebe ist? In der Dogmatik wird Gott als Liebe gefeiert, in der Ethik wird die Liebe zum Wert aller Werte, in der Spiritualität überragt sie an Bedeutung alles Konfessionelle. Das zumindest kommt heraus, wenn man die Kernaussagen des Neuen Testamentes zusammen liest. Nur kommt es leider nicht heraus, wenn man die real existierende Kirche in Gegenwart und Vergangenheit betrachtet. Gleichviel: Rumi – auch wenn er kein Christ, sondern Muslim war – hat in meinen Augen die christliche Botschaft auf den Punkt gebracht: „Liebe, nur Liebe, wir haben sonst kein Werk.“ Oder Lessing, der die Summe des Christentums dem alten Johannes in den Mund legte: „Kinderchen, liebt euch!“ C’est ça – und mehr bedarf es nicht.
Lasst es mich noch einmal andersherum sagen: Was war der Inhalt der Verkündigung Jesu? „Kehret um, das Reich Gottes ist nahe!“ Ahnt ihr, wie ich das übersetze? – „Mach dich auf, fall in die Liebe – denn
in der Liebe sein
heißt
im Reich Gottes sein
.“ Wie sollte es auch anders sein, wenn Gott die Liebe ist; und wenn Jesus antritt, um uns den Weg zu seinem Vater zu weisen? Sein Vater ist die Liebe, und der Weg zu ihm ist ebenfalls die Liebe. So wie er selbst die Inkarnation dieser Liebe ist, die menschgewordene Liebe, geboren von der Jungfrau Maria, als Kind in der Krippe im Stall zu Bethlehem. Deswegen kann ich mich guten Gewissens und reinen Herzens zu diesem Jesus bekennen. Ich glaube, dass er die vollkommenste Manifestation eben der Liebe ist, von der gesagt ist, Gott sei sie; und dass sein Ruf, ihm nachzufolgen, nichts anderes sagen will als: Folgt mir in der Liebe und in die Liebe! Auf dass sich die Inkarnation Gottes auch in euch ereigne! Damit ihr vollkommen seid, so wie euer Vater vollkommen ist! Damit ihr Liebe seid – Liebe und nichts als Liebe! Damit ihr erfüllt, was das höchste Gebot ist: Gott lieben, den Nächsten lieben, sich selbst lieben – denn all dies wird geschehen, sobald ein Mensch in der Liebe (= im Reich Gottes)
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