Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
ist. Dazu bedarf es tatsächlich nur einer kleinen Umkehr. Jesus sagt: Denkt anders! –
Metanoeite
. Das heißt nicht, wie die Moralistenübersetzen: „Tut Buße!“ Es bedeutet eher: „Kehrt um!“ Vor allem aber heißt es: Denkt um, ändert euren Sinn! Schaltet um von Ego auf Eros! Lasst euch in die Liebe fallen! Dort ist das Gottesreich.
Genau deshalb glaube ich, dass dieser Jesus tatsächlich der Christus ist – wenn
Christus
bedeutet, dass Mensch und Gott ineinander verschränkt, voneinander durchdrungen sind; wenn
Christus
genau die Qualität bezeichnet, von der die Alten längst vor Jesu Erscheinen schon wussten, als sie sagten: Alles ist heilig, die Welt ist heilig, die Erde ist heilig. Alles ist durchdrungen von Gott. Gott ist das
hen kai pan
– das Eine und Ganze.
Wenn das stimmt – und wenn ich an etwas glaube, dann daran, dass das stimmt –, ist damit gesagt, dass Jesus genau deshalb der Christus ist, weil Gott in ihm Mensch geworden ist; weil die Inkarnation Gottes in ihm in Fleisch und Blut stattgefunden hat; weil in ihm diese unendlich gütige Intelligenz allen Lebens, die wir
Gott
nennen, ein menschliches Gesicht bekommen hat – in einem menschlichen Körper, einem menschlichen Ich, einer menschlichen Seele; weil sich in ihm die Liebe, die Gott ist, vermenschlicht und deshalb unweigerlich eine körperliche, eine Ich-orientierte und eine seelische Erscheinungsform hat. Und genau das ist es, was ich Eros nenne. Kurz: Die Liebe – von der gesagt ist, Gott sei sie – inkarniert sich im Menschen als Eros. So wie Jesus – vom dem gesagt ist, er sei Gottes Sohn – als Mensch sterblich, verletzbar und körperlich war. Wenn auch das stimmt, dann ist der Weg der Nachfolge Jesu, d.h. der Weg ins Reich Gottes, ob es uns nun passt oder nicht, ein erotischer Weg – und das Christentum eine erotische Religion. Das muss man sich mal klarmachen!
Was aber selten geschieht. Viel zu selten. Vor allem in den Kirchen. Ausgerechnet. Die erotische Seite des Christentums findet dort nicht statt, im Gegenteil. Eros wurde von den christlichen Theologen schon früh denunziert und verdammt und Jesu Botschaft dadurch zur Unkenntlichkeit verzerrt. Ich finde, das ist ein Jammer.
Der Sündenfall
Wir haben die Religion vom Leben
getrennt, indem wir die Liebe in Agape
und Eros aufgespalten haben. Agape
als die religiöse Form der Liebe,
Eros als die weltliche. Das Göttliche
vollzieht sich jedoch in allem, was ist
.
Willigis Jäger
Wie war das doch noch mit der Vertreibung aus dem Paradies? Sie aßen vom Baum der Erkenntnis und lernten das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Will sagen, die eigentliche Sünde des Menschen – die Erbsünde, meinetwegen – liegt im moralischen Urteil: gut oder böse. Das Paradies hingegen – Nietzsche würde sich freuen – ist jenseits von Gut und Böse.
So, und nun kommt Jesus, verkündet das Reich Gottes, macht es sichtbar auf Erden, offenbart die unendliche Liebe Gottes (von dem es heißt, dass Er die Liebe ist) in menschlicher Gestalt. Und was passiert? Die Theologen der alten Kirche gehen hin und wiederholen das Ur-Teil. Sie setzen Gut gegen Böse: die gute Liebe namens
Caritas
gegen die böse Liebe namens
Sexus
oder
Eros
. Und sie teilen nicht nur die Liebe in Gut und Böse, sie gehen noch einen Schritt weiter und jagen die „böse“ Liebe aus dem Tempel der Theologie und Liturgie: Eros wird verteufelt, Sexualität wird dämonisiert; und zurück bleibt eine blutarme, moralisch aufgeheizte Tugend namens
Caritas
, auf die nun der fromme Christenmensch verpflichtet wird. Jetzt funktioniert das Spiel nämlich so: Sei fromm und übe die Caritas, dann erwirbst du dir das Ticket für das Gottesreich im Jenseits. Was aber, wenn es das gar nicht ist, was Jesus sagen wollte? Was, wenn er ganz im Gegenteil gelehrt hätte: Lass dich in die Liebe fallen: zu Gott, Mensch, Welt und dir. Und wenn du das tust, dann steht das ReichGottes dir offen, und die Herrlichkeit Gottes wird in dir erstrahlen. Was für ein Unterschied!
Zur Ehrenrettung der alten Theologen darf ich freilich nicht verschweigen, dass ihr „Sündenfall“ eine Vorgeschichte hat; und zwar ausgerechnet in Platons
Symposium
. Dort gibt es nämlich einen Redner, er heißt Pausanias, der ganz wie die späteren Theologen einen moralisch guten von einem moralisch bösen Eros unterscheidet. Die Versuchung zur Moralisierung des Eros ist also offenbar alt – so alt etwa, wie die Ausbildung des Ich-Bewusstseins, mit der die Idee
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