Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
Auskommen in Gestalt der christlichen Liebesmystik, die vor allem im Mittelalter viele Männer und Frauen in erotisch-mystische Ekstasen führte: Bernhard von Clairvaux, Wilhelm von Saint-Thierry, Franz von Assisi, Mechthild von Magdeburg, Gertrud von Helfta, Juliana von Norwich, Katharina von Siena, Teresa von Ávila, Johannes vom Kreuz – um nur einige wenige zu nennen. Nur, die solcherart ins Christliche gerettete Erotik blieb trotz aller Leidenschaftlichkeit und Sinnlichkeit kastriert. Denn die sexuelle Komponente, die für die alten Griechen noch integraler Bestandteil erotischer Lebenskunst war, blieb auf der Strecke. Dafür war das Übergewicht der christlichen Moral dann eben doch zu groß:
Sancte, ardente, caste
– heilig, brennend, keusch – wollte man sein. Erotisch, aber nicht sexuell. Und so war es ein flügellahmer Eros, den die christliche Mystik zuließ. Die sexuell-sinnliche Kraft, die der erotischen Liebe inne wohnt, blieb außen vor.
Der Mainstream hielt sowieso den Sündenfall – jahrhundertlang: gute Liebe, böse Liebe; himmlische Liebe, irdische Liebe. Ein berühmtes Dokument davon ist ein Bild von Tizian, das in der Galleria Borghese in Romhängt: Die himmlische Liebe wird als bekleidete Frau mit zugeknöpftem Ausschnitt in tugendhafter Haltung dargestellt, während sich die irdische Liebe neben ihr nackt und lasziv räkelt. In diesem Bild wird das ganze Dilemma der christlichen Theologie sinnfällig: Die Wirklichkeit der Liebe, die ein einheitliches und ganzheitliches Phänomen ist, ist zweigeteilt. Hier die Heilige, da die Hure – ein bis heute bei Männern verbreitetes Modell, diese geistige Spaltung der Liebe auf real existierende Frauen zu projizieren und dadurch diesen theologischen Irrweg in ihre Lebenswelt zu übersetzen: Die Frau, die ihr Herz entflammt, ist per se eine Hure, die zu lieben ein moralisches Vergehen wäre; diejenige hingegen, die ihr Herz nicht entflammt, verdient zwar Zuwendung, doch kann dies nur noch eine blutarme moralische Haltung sein, die niemanden glücklich macht, dafür aber jede Menge Leid und Depression in die Schlafzimmer trägt. Und nicht nur dorthin, denn mir scheint, dass das Drama der Aufspaltung der Liebe für unsere gesamte Kultur ein Unheil ist: Erst die Dämonisierung des erotischen und die Verdammung der sexuellen Liebe haben der um sich greifenden Pornographisierung der Welt den Weg geebnet.
Agape –
die Kaskade der Liebe
Die Flöte des Unendlichen
wird ohne Ende gespielt,
und ihr Ton ist Liebe.
Wenn die Liebe aller Grenzen entsagt,
erreicht sie die Wahrheit
.
Kabir
Nun mag es sein, dass ihr als theologisch gebildete Menschen einen Einwand erhebt. Es könnte sein, dass ihr mich daran erinnert, dass im neuen Testament, wo es um die Liebe geht, nun gerade nicht von
Eros
die Rede ist, sondern ausschließlich von
Agape
– und dass
Agape
mit dem lateinischen Begriff
Caritas
übersetzt werden kann; dass so gesehen also gar keine Rede davon sein kann, dass die Liebe, von der im Evangelium so viel die Rede ist, als erotische Liebe verstanden werden müsse.
Der Einwand ist nicht schlecht, aber er verfängt nicht wirklich. Denn es ist mitnichten so, dass
Agape
nichts mit
Eros
zu tun hätte. Im Gegenteil. Wenn ihr euch das Hohelied des Alten Testaments in seiner schon zu Jesu Zeiten gängigen griechischen Übersetzung (der Septuaginta) anschaut, werdet ihr überrascht feststellen, dass dort, wo man in Kenntnis des klassischen Griechisch
Eros
erwarten dürfte,
Agape
findet. Etwa im 8. Kapitel, wo es heißt:
„Denn stark wie der Tod ist die Liebe [Agape]
,
begierig wie das Totenreich die Leidenschaft
,
ihre Flammen sind Feuerflammen
,
sind wie Blitze
.
Selbst Wassermassen vermögen nicht
,
die Liebe [Agape]zu löschen
,
und Flüsse ertränken sie nicht.“
Oder:
„Er hat mich ins Weinhaus geführt
,
dessen Schild über mir heißt „Liebe“ [Agape]
.
O stärkt mich mit Obstkuchen
,
bettet mich unter Apfelbäumen
,
denn krank vor Liebe bin ich!“
(Hohelied 2, 4+5)
Also, wenn die Liebe, die hier besungen wird, nicht exakt das ist, was zu Platons Zeiten
Eros
hieß, dann weiß ich auch nicht. Jedenfalls wäre
Caritas
hier auf keinen Fall eine angemessene Übersetzung. Oder hat man je davon gehört, jemand sei krank vor Barmherzigkeit oder Solidarität gewesen? Wohl eher nicht. Es geht hier eindeutig um die leidenschaftlich-erotische Liebe. Dass sie von den alten Übersetzern des hebräischen Textes mit dem griechischen
Agape
wiedergegeben
Weitere Kostenlose Bücher