Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
anderes, als in die Liebe zu fallen – tiefer und immer tiefer. So tief, dass selbst der Tod uns nicht mehr schreckt, weil wir den Geschmack der Unsterblichkeit auf unseren Lippen haben; so tief, dass wir dem Schmerz nicht mehr ausweichen müssen, weil wir uns in einem Ozean der Liebe geborgen wissen; so tief, dass auch wir unser Kreuz tragen können, weil unser Herz ein klares Ja zum Leben sagt.
So wie auch Jesus Ja sagt: zu den Kranken, den Aussätzigen, den gesellschaftlich Ausgestoßenen. Er geht auf sie zu, er begegnet ihnen inder Unmittelbarkeit des liebenden Herzens. Darin gründet die Klarheit und Prägnanz seines Tuns, die Beherztheit seines Eingreifens. Jesus hält sich nicht mit Konzepten und Theorien auf, sondern folgt dem Impuls seines Herzens. Er fühlt die Verbundenheit und verleiht ihr Ausdruck. Und indem er dies tut, heilt er. Fast immer ist es die Pointe der Heilungsgeschichten, dass Jesus die kranken Menschen durch seine Zuwendung aus der Isolation befreit und genau dadurch heilt. Auch die medizinische Forschung bestätigt inzwischen, dass physische wie psychischen Leiden dadurch behoben werden können, dass ihre Ursprünge zu Bewusstsein gebracht und dort mit der Kraft des Herzens bejaht werden.
Die unbedingte Präsenz im Herzen und das klare Bewusstsein der Verbundenheit Jesu stehen wohl auch im Hintergrund derjenigen Geschichte, die für mich das klarste und schönste Bild des
erotischen Jesus
im Evangelium zeichnet: die Geschichte von der Salbung in Bethanien (Mt 26.6-11) . Jesus ist zu Gast im Hause seines Freundes Simon. Da tritt eine Frau zu ihm, die Jesus offenbar in großer Liebe zugetan ist, und gießt kostbares Öl auf sein Haupt. Die Jünger sind erbost und mäkeln, das Geld für das teure Öl hätte besser den Armen gegeben werden können. Doch was sagt Jesus? „Was betrübt ihr die Frau? Sie hat ein gut’ Werk an mir getan. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch. Mich aber habt ihr nicht alle Zeit.“
Man kann diese Szene beschreiben als den Triumph der Liebe über die Moral. Die Jünger sind moralisch. Sie wollen gute Menschen sein und das teure Geld lieber den Armen geben als in eine Wellness-Behandlung ihres Meisters zu investieren. Der aber sieht das anders, denn er sieht mit den Augen des Herzens. Er ist in der Liebe – in der Liebe, die erotisch ist. Was sich daran zeigt, dass er ganz bei der Sache ist. Ganz im Hier und Jetzt, bei der Frau, die ihm in Liebe zugewandt ist. Er weiß: Jetzt ist diese konkrete Frau wichtig und nicht die abstrakten Armen der Jünger. Jetzt zählt die Verbundenheit zwischen ihm und dieser Frau – und diese Verbundenheit ist konkret, körperlich, sinnlich. Sie ist nicht sexuell, sondern erotisch: Körper, Geist und Seele sind in diesem zärtlichen Ausdruck derVerbundenheit integriert. Jesus ist präsent, ganz bei der Geliebten. Und aus dieser Zuwendung erwächst ein erotischer Handlungsimpuls, der viel stärker ist als die abstrakte Moral der Jünger.
Das verrät eine weitere Jesus-Geschichte – eine, die auf den ersten Blick so gar nicht erotisch daherkommt, bei näherer Betrachtung aber ebenso das Gesicht des erotischen Jesus zeigt: die Vertreibung der Händler aus dem Tempel: „Und Jesus ging in den Tempel und fing an, die Verkäufer und Käufer im Tempel herauszutreiben; und die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler stieß er um und ließ nicht zu, dass jemand etwas durch den Tempel trage.“ (Mk 11.15-17)
Wenn das nicht beherzt ist! So beherzt, wie nur ein in erotischer Liebe glühendes Herz handeln kann. Wieder ist Jesu Liebesleidenschaft konkret. Er sieht etwas, das nicht geht. Und weit gefehlt, dass er freundlich mit den Händlern diskutieren würde, wird er in seinem heiligen Zorn handgreiflich. So sieht das
Nein aus Liebe
aus, das einen erotischen Menschen beflügeln kann. Eros ist nicht rosaroter Friede-Freude-Eierkuchen. Er ist das unbedingte Ja zum Leben – zu Gott –, dem ein unbedingtes Nein zu allem Lebensfeindlichen entspricht.
Diese subversive Komponente in Jesus von Nazareth verrät die ungeheure erotische Kraft dieses Menschen. In seinem Herzen brennt ein leidenschaftliches Feuer, das sich in einer grenzenlosen, unbedingten Hingabe manifestiert. Es manifestiert sich in seiner heilenden Zuwendung ebenso wie in seinem heiligen Zorn auf die Händler im Tempel. Und es findet seinen stärksten und kraftvollsten Ausdruck in seinem Sterben. Denn die Passion Jesu zeigt, wie weit das Verliebtsein ins Leben
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