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Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben

Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben

Titel: Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Quarch
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wurde, sollte uns zu denken geben. Zumindest ist dies ein starker Hinweis darauf, dass die Liebe, von der im Neuen Testament die Rede ist, keineswegs ein moralisches Konzept darstellt, sondern nur dann richtig verstanden wird, wenn wir sie als Erscheinungsform, Variante oder Spielart des Eros deuten.
    In eine ähnliche Richtung weist auch ein anderer bedeutender Textzeuge aus der Entstehungszeit des Neuen Testaments: der Philosoph Plotin. Seine Verwendung von
Agape
und
Eros
kommt zwar der Sichtweise der frühkirchlichen Theologen nahe, denn ganz wie diese unterscheidet Plotin
Agape
ausdrücklich von
Eros
– allerdings, und das ist für mich das Entscheidende, als zwei Aspekte des gleichen Geschehens der einen leidenschaftlichen göttlichen Liebe, deren Wesen sich allein von der erotischen Erscheinungsform der Liebe her erschließen lässt.
    Das muss ich kurz erklären: Plotin hatte die Vorstellung, der Kosmos als Ganzes sei von einer ewigen Kreisbewegung der Liebe grundiert, bei der es eine absteigende und eine aufsteigende Richtung gibt. Die absteigende Richtung ist bezeichnet durch die
Agape
, die sich wie eine Kaskadevon Gott ausgehend in seine Schöpfung ergießt – bis hin in die materielle Welt. Dort aber erreicht sie, wenn man so will, ihren Umkehrpunkt und steigt nun, als erotische Liebe, wieder auf zu ihrem Ursprung – zu Gott –, bis dass sie sich zuletzt in ihm wieder vereint. Dieser Aufstieg erinnert sehr an die aus Platons Deutung des Eros bekannte „Ausfahrt auf das weite Meer des Schönen“: Es ist die vom Eros angetriebene Hinwendung aller Kreaturen zum einen, umfassenden Gott.
    Warum erzähle ich das? Nun, weil daran deutlich wird, dass wir
Agape
– so wie der Begriff im Neuen Testament verwendet wird – nur dann richtig zu fassen bekommen, wenn wir sie als „Fortsetzung des Eros in anderer Gestalt“ deuten: als der ganz zu sich gekommene, vollkommen bewusste, von allen Schatten und Begehrlichkeiten bereinigte Eros, dessen Energie sich aus sich selbst verströmt, ohne dabei noch eines bestimmten, schönen Gegenübers zu bedürfen.
Eros
und
Agape
, so könnte man sagen, sind zwei Erscheinungsformen derselben alles integrierenden und alles durchdringenden (transzendierenden) Energie, die in unserem Herzen ebenso mächtig ist wie im Kosmos als Ganzes; und die zu entfalten uns zu leidenschaftlich-erotisch liebenden Menschen und dereinst – oder in mystischen Ekstasen – zu ganz sich in
Agape
verströmenden Seligen im Reiche Gottes verwandelt.
    Das ist es, was mir so wichtig erscheint:
Agape
ist die Erscheinungsform des Eros in der vierten Dimension. So wie Sexualität die Erscheinungsform des Eros in der ersten Dimension ist.
Agape
ist das Liebe-Sein Gottes: das Liebe-Sein, das unser Bewusstsein dann durchdringt, wenn der Eros uns über unser Ich hinweg und durch unsere Seele hindurch in die unmittelbare, mystische Präsenz und Einheit mit dem Göttlichen getragen hat; wenn wir mit Gott eins gewordene, von seiner Wirklichkeit erfüllte Wesen sind; wenn das Reich Gottes in uns aufgegangen ist. Da ist die duale Struktur des Eros aufgehoben in ein Sich-Verströmen, das kein Gegenüber mehr braucht, weil es in ihm kein
ich liebe dich, ich liebe die Welt
oder auch kein
ich bin verliebt ins Leben
mehr gibt. Sondern da ist nur noch reine, strömende, leidenschaftlich sich verschenkende Liebe.
    Wenn das zutrifft, dann sind wir gut beraten, für die Agape dasjenige zentrale Charakteristikum geltend zu machen, das auch den Eros auszeichnet – nämlich die Nicht-Machbarkeit bzw. den Geschenk-Charakter. Agape, als nichtduale Fortsetzung des Eros verstanden, entzieht sich wie dieser unserem Machen-Können und Wollen. Sie ist – theologisch gesprochen – eine Gnade, für die wir uns empfänglich halten, die wir aber nicht erzwingen können. Sie ist, ganz wie Eros, ein Widerfahrnis – und zwar eines, das sich dann einstellt, wenn wir in die Liebe gefallen und in der Liebe heimisch geworden sind.
    Und das ist nun wiederum der Grund dafür, dass das lateinische
Caritas
eine verzerrende Übersetzung des griechischen
Agape
ist. Denn
Caritas
atmet den römischen Geist der Moral und macht so aus dem Widerfahrnis der erotischen Agape eine Leistung des wollenden Ich. So rückt die Liebe in den Verantwortungsbereich des wollenden Subjekts. So können Menschen dafür zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie gegen das Liebesgebot verstoßen; denn es zu erfüllen heißt nun:
vorsätzlich
mildtätig, solidarisch

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