Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
gehen kann: dass das liebende Herz selbst dort noch an seiner leidenschaftlichen Liebe zum Leben festhält, wo einem Menschen größtes Leid und unvorstellbare Schmerzen zugefügt werden.
Nur so jedenfalls kann ich mir einen Reim auf diese Geschichte machen: dass die Passion Jesu deshalb ein heiliges Geschehen ist, weil in ihr sichtbar wird, dass die Liebe (die Gott ist) auch vor den dunkelstenund fürchterlichsten Seiten des Lebens nicht Halt macht; dass sie selbst da noch wirksam ist, wo wir nur Grauen und Schrecken sehen können; dass sie selbst da noch das Leben bejaht, wo es geschunden und vergewaltigt wird – ja, wo es stirbt. Liebe ist stärker als der Tod, das ist in meinen Augen die Botschaft. Und weil die Liebe stärker ist als der Tod, kennt sie auch keine Angst: „Furcht ist nicht in der Liebe.“ (1. Joh 4.17)
Gott liebt das Leben; und sein Sohn ist selbst da noch in die Menschen verliebt, wo sie ihn umbringen: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23.34) – darin spricht sich der ungebrochene Eros Jesu aus, der selbst seine Mörder nicht verurteilt, sondern die Tragik ihrer Verblendung liebend erkennt. Und gleichzeitig vollendet sich darin die erotische Liebe Jesu zum Leben: Wo die eigenen Mörder von seiner Liebe umfasst sind und seine Verbundenheit selbst mit ihnen ins Bewusstsein kommt, da ist noch der letzte Draht seiner Seele zum Glühen gebracht und die Verbundenheit mit allem realisiert. Darin vollendet sich die Mensch (= Eros) gewordene Liebe Gottes und wird (wieder) zur ewigen Agape. Nun ist da nur noch die unterschiedslose Einheit von Vater und Sohn in der vierten Dimension des Bewusstseins, von der Jesus immer schon wusste, auch wenn er sie in seiner irdisch-inkarnierten, menschlichen Existenz nicht dauerhaft zu leben vermochte: „Ich und der Vater sind eins.“ (Joh 10.30) Nun, am Kreuz von Golgatha, ist dieses Wissen vollkommen realisiert – und der Sohn wird wieder Vater, der Vater wieder Sohn: Einheit, Auferstehung, Ostern. Das ist der Schritt, mit dem die Inkarnation endet und die göttliche Liebe, die an Weihnachten Mensch geworden war, wieder in die reine Sphäre des Gottesreiches aufgehoben wird. Nun ist Jesus zum Christus geworden – wahrer Mensch und wahrer Gott, ununterscheidbar.
Natürlich könnte man noch viel mehr über Jesus sagen. Und wie viel ist schon über Jesus gesagt worden! Ich möchte es hier nicht zu weit treiben. Alles, worum es mir geht, ist euch zu erklären, was mir an diesem Mann aus Nazareth wichtig ist – wie ich sein Handeln und seine Lehren verstehe; und warum ich glaube, dass wir Menschen wirklich gut beratensind, ihn zu unserem spirituellen Führer zu machen: Weil er, wie wohl kein anderer, zu erkennen gegeben hat, was ein von Liebe erfülltes Leben ist; wie ein Leben aussieht, das – vollständig vom Eros durchdrungen – ganz zu sich selbst gekommen ist, so sehr von ihm erleuchtet, dass keine dunklen Flecken oder Schatten in der Seele zurückbleiben. Weil ihm zu folgen tatsächlich bedeutet, unser beschränktes Ich ebenso zurückzulassen wie dessen Furcht vor Leid und Tod. Und weil der Weg in die Liebe, den er weist, tatsächlich der Weg ins Gottesreich ist, in das einzutreten nichts anderes bedeutet, als unsere Unsterblichkeit zu realisieren.
Was braucht es mehr? Mir jedenfalls reicht ein solcher Jesus. Er muss für mich nicht von der Jungfrau Maria geboren sein; er muss für mich nicht das Opferlamm zur Vergebung der Sünden sein. Es reicht mir, dass in ihm Gott Mensch geworden ist. Und es reicht mir zu ahnen, dass seinem Vorbild zu folgen am Ende dahin führen kann, mein menschliches Dasein so zur Blüte zu bringen, dass es als schöne, harmonische und glückliche Erscheinung des Göttlichen die Menschen erfreut. Und war es nicht genau das, was er von uns wollte? – „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ (Joh 13.34)
Im mystischen Minnebett
Eia, Herr, liebe mich innig,
und liebe mich häufig und lange!
Denn je inniger du mich liebst,
desto reiner werde ich.
Je öfter du mich liebst,
desto schöner werde ich.
Je länger du mich liebst,
desto heiliger werde ich hier auf Erden
.
Mechthild von Magdeburg
Meine Deutung der Gestalt Jesu kennt ihr nun. Und vielleicht versteht ihr vor diesem Hintergrund auch, warum es mich für
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