Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben

Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben

Titel: Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Quarch
Vom Netzwerk:
Vorzeichen der christlichen Moral neu zu Ehren zu bringen. Denn so sehr auch die Kirche das Erotische zu verbannen versuchte, Klein-Eros ließ sich nicht unterkriegen; einfach weil sich die Menschen immer wieder verliebten und Eros deshalb eine unhintergehbare Kraft des Lebens bleibt.
    Die Spielarten, in denen er sich zu Wort meldete, waren allerdings höchst unterschiedlich: Im Kloster wurde eine mystisch-asketische Variante geübt, am aristokratischen Hof eine poetisch-asketische. Was beide dabei verbindet, ist ihr verzweifelter Versuch, für den Eros eine Art Reservat zu finden, in dem er trotz aller moralischen Vorbehalte und Verdikte bleiben konnte.
    Die Antwort der Minnesänger war genial: Sie suchten sich als Objekt ihrer erotisch-feurigen Avancen grundsätzlich eine unerreichbare Frau. Zu ihren Spielregeln gehörte also von Anfang an, dass all ihr leidenschaftlichesWerben nie zur Erfüllung kommen durfte. Eros durfte seinen männlichen Anteil zwar voll auskosten: Er durfte singen, dichten, gegen Drachen kämpfen und Aventüren bestehen, aber er durfte sich unter keinen Umständen hingeben. Die Angebetete blieb auf Distanz, und ein flüchtiger Kuss auf die Stirn des Verehrers war das Höchste, was ihm je zuteil werden konnte. Diese seltsam ausgebremste Erotik führte wohl zu einer exaltierten Sehnsucht, die wahrlich hinreißende poetische und lyrische Werke gebar. Die ganze europäische Gattung des Liebesromans hat später daraus geschöpft. Aber wirklich zu sich und zur Blüte konnte das Leben darin nicht kommen.
    Die Strategie der Mystiker funktionierte ähnlich. Auch sie mussten peinlich darauf achten, dass ihre erotische Gottesminne nicht in moralisch fragwürdige Regionen führte. Auch sie mussten deshalb einem Eros frönen, der per se nicht zur Erfüllung finden konnte – nun aber nicht als eine unerfüllbare irdische Liebe zur entrückten Herrin, sondern eine unweigerlich fleischlos asexuelle Liebe zum transzendenten Gott. Auch ihm wurden die schönsten erotischen Gedichte gewidmet. So kam Eros zwar zur Sprache, doch zum Leben kam er nicht. Im Gegenteil: Die frommen Protagonistinnen und Protagonisten der Brautmystik haben den Eros so sehr spiritualisiert, dass er zuletzt die Bodenhaftung verlor und wieder aus der christlichen Spiritualität schwand – und verschwunden blieb. Alle seine späteren, zaghaften Versuche einer Rückkehr ins europäische Geistesleben fanden in der säkularen Kultur statt: so war es in der Renaissance, so war es in Barock und Rokoko, so war es in der Romantik. Und immer fanden sich in Windeseile kirchliche Eiferer, die dem Eros mit Feuer und Schwert zu Leibe rückten. Mit dem Erfolg, dass er nur noch in Literatur und Kunst überleben durfte – als Beatrice, Madonna Laura, Romeo und Julia, Werther und Lotte, Hyperion und Diotima, Jack und Rose …
    Aber ich schweife ab. Was ich eigentlich sagen – und beklagen – wollte, ist, dass es seit den Tagen der Brautmystik des Mittelalters so gut wie keine Erotik mehr in den christlichen Kirchen gab; und dass ich vermute, der Grund dafür könnte darin liegen, dass spätestens seit derReformation der Sinn für das Mystische abhandengekommen oder marginalisiert wurde. Es fällt auf, dass das Schwinden der erotischen Anteile mit dem Schwinden des kontemplativen Gebetes zusammenfällt; und dass erst heute, unter Einfluss östlicher Meditationsformen und christlicher Brückenbauer wie Roger Schütz, Thomas Merton oder Hugo Lassalle, mit der Wiederentdeckung des stillen, kontemplativen Gebets der erotische Sinn ins Christentum zurückkehrt. Bei näherem Hinsehen ist das nicht überraschend; denn wenn ihr gelesen habt, was ich über die Eltern des Eros geschrieben habe, dann erinnert ihr euch vielleicht daran, dass die empfängliche, offene Hingabe eine seiner beiden Grundvoraussetzungen ist. Und eben das ist es ja, was der kontemplative Weg lehrt: sich hinzugeben und offen zu halten für den Anspruch Gottes; in die Stille zu gehen und leer zu werden, um sich von Gottes Liebe erfüllen zu lassen. So gesehen scheint es fast in der Natur des Eros zu liegen, dass er überall dort in die christliche Spiritualität zurückkehrt, wo geschwiegen und Kontemplation geübt wird.
    Gewiss ist auch die Kontemplation noch immer ein recht sinnenferner spiritueller Weg; und von einer echten erotischen Spiritualität, wie sie mir vorschwebt, bleibt sie noch ein Stück entfernt. Aber gleichzeitig ist sie doch ein integraler Bestandteil davon. Denn mir

Weitere Kostenlose Bücher