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Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben

Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben

Titel: Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Quarch
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gewöhnlich nicht in die Sonntagsgottesdienste christlicher Kirchen zieht: weil dort so wenig von dem Geist spürbar ist, der mir das eigentliche Herz und Zentrum der christlichen Religion zu sein scheint – der Geist der leidenschaftlichen, umfassenden, erotischen Liebe; weil mein Herz dort keine Nahrung findet; weil ich dort überzeugt werden soll, wo ich doch berührt werden möchte. Kurz: weil dort so wenig Eros waltet.
    Vor allem die evangelische Spiritualität lässt mich in dieser Hinsicht oft verzweifeln. Ich möchte damit nicht sagen, dass evangelische Gottesdienste schlecht oder falsch wären. Ich weiß, dass dort teilweise Großartiges geschieht – dass Menschen sich dort getröstet und beheimatet fühlen. Nichts von alledem möchte ich schlechtreden. Es ist gewiss wichtig, dass die Kirchen die Menschen auch in ihrer Ich-Struktur treffen und ansprechen. Und wer sich in seinem Leben innerhalb der Ich-Struktur eingerichtet hat, wird dankbar und glücklich die Angebote der Kirchenannehmen, die dem Ich Halt, Stabilität und Hoffnung geben. Nur, mir reicht das nicht. In mir dürstet eine Seele nach Anspruch. In mir schlägt ein Herz, das sich verlieben, das sich hingeben und öffnen, sich ausdrücken und feiern möchte. Und das sich in dieser Hinsicht von den Kirchen immer wieder allein gelassen fühlt.
    Natürlich, es gibt Ausnahmen. Allen voran Taizé. Ihr wisst, dass ich dort meine spirituelle Initiation empfangen habe und dass mich die TaizéSpiritualität bis heute prägt. Als junger Mann hätte ich das so noch nicht gesagt, heute aber scheue ich mich nicht davor, Taizé gerade deshalb zu rühmen, weil dort eine durch und durch erotische Spiritualität gelebt wird: eine Spiritualität, die mein Herz öffnet und mich in die Liebe fallen lässt – tief in die Liebe fallen lässt. Sicher tragen dazu die wundervollen Lieder bei, die dort gesungen werden; und auch die Einfachheit des dort gepflegten Lebensstils. Taizé ist für mich eine Chiffre für eine ganzheitliche, dabei aber doch herzzentrierte und kraftvolle Erscheinungsform des Christentums. Mehr davon in unseren Kirchen würde mir Freude bereiten.
    Aber wie weit sind wir davon entfernt! Statt Stille und kontemplativer Praxis muss ich mir zumeist moralinsaure Predigten anhören. Was gibt es Unerotischeres als Predigten! Nein, dafür könnt ihr mich nicht begeistern. Selbst die Kirchentage bleiben mir zu sehr an der Oberfläche: viel geistige Nahrung, viel gutes Gefühl, aber wirklich in die Tiefe führen sie mich nicht. Deshalb habe ich mich dort – anders als in Taizé – nie ins Leben verlieben können.
    Ich könnte auch sagen: Mir fehlt dort der „Sinn und Geschmack für das Unendliche“ (Friedrich Schleiermacher); mir fehlt die Sinnlichkeit und die Seelenfülle; mir fehlt die Mystik. Ja, genau, die Mystik. Denn eine erotische Spiritualität scheint mir immer eine mystische Spiritualität zu sein – eine Spiritualität, die es darauf anlegt, die Präsenz Gottes unmittelbar zu erfahren. Christlich verstanden: eine Spiritualität, die es mir erlaubt, die leidenschaftliche Liebe zum Leben in mir zu entfachen und darin zum Jünger Jesu zu werden.
    Deshalb ist es wohl kein Wunder, dass sich in der christlichen Tradition stets die Mystiker der Erotik des Christentums (oder der Erotik des Betens, wie ich es einmal genannt habe) bewusst waren. Besonders die mittelalterliche Mystik wagte es, eine erotische Spielart des Christentums zu entwickeln. Ihre große Zeit war das 12. Jahrhundert. Fast aus dem Nichts verbreitete sich in kürzester Zeit in ganz Europa eine leidenschaftliche Spiritualität, die sich nicht scheute, ihre Hinwendung zu Gott in einer durch und durch erotisch-sexuellen Sprache zu beschreiben. Vor allem die Frauen stachen in diesem Genre hervor: Mechthild von Magdeburg habe ich schon erwähnt, die niederländische Begine Hadewijch wäre eine weitere Protagonistin dieser Bewegung.
    Bemerkenswert scheint mir, dass diese unerwartete Renaissance des alten Eros zwei unterschiedliche Richtungen nahm, die zeitgleich in räumlicher Nähe, nämlich in der Mitte und im Süden Frankreichs, auf der Bühne des europäischen Geistes auftauchten: einerseits die Troubadour-Lyrik des weltlichen Minnesangs mit ihrem Zentrum in der Provence und zum anderen die Brautmystik der Zisterzienser-Spiritualität, die vom Burgund aus Europa überrollte. Was dieses wunderliche Geschwisterpaar verbindet, ist ihr beiderseitiges Bemühen, den alten Eros unter dem

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