Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
scheinen Kontemplation und Meditation wichtige Übungen dafür zu sein, sich überall vom Leben berühren und bewegen lassen zu können; sich überall inspirieren und zu beherztem Handeln motivieren lassen zu können; überall in die Liebe zu fallen und so das Leben zu einem einzigen Gottesdienst geraten zu lassen – einem Gottesdienst, der darin besteht, bei allem Tun und Lassen das Leben zu feiern und sich dieses unglaublich schönen Geschenkes bewusst zu sein, und das in allen Dimensionen unseres Lebens.
Ach, ihr ahnt nicht, wie sehr ich mir eine solche umfassende, körperliche, sinnliche, herzliche, geistreiche christliche Spiritualität wünsche; eine Spiritualität voller Poesie und Schönheit, voller Zärtlichkeit und Beherztheit. Natürlich keine „Wellness-Spiritualität“, wie kirchliche Berufszyniker gerne zetern; auch keine weltabgewandte Esoterik. Sondern eine bodenständige,konkrete, aus dem Herzen kommende, die Verbundenheit mit allem in die Verbindlichkeit des Handels übersetzende und deshalb tätige Spiritualität. Eine Spiritualität in der sich Kampf und Kontemplation,
vita activa
und
vita contemplativa
, Mystik und Widerstand die Waage halten. Ja, das wäre das Christentum, das mir vorschwebt – ein erotisches Christentum auf den Spuren eines erotischen Jesus; ein Christentum, in dem Gott und Mensch kraft der Liebe so vermittelt sind, dass das Leben zu sich selbst kommen und erblühen kann.
Mit Leib und Seele –
und beiden Füßen
auf dem Boden
The most beautiful prayer is a man
walking tall, powerful and in beauty
.
Angaangaq
Wie ihr wisst, habe ich verschiedene spirituelle Schulen durchlaufen. Und ich halte sie alle in Ehren. Vieles von dem, was ich über erotische Spiritualität geschrieben habe, finde ich im Sufismus wieder, den ich außerordentlich liebe. Vieles entdecke ich auch in den tantrischen Traditionen des Ostens oder im Bhakti-Yoga der Hindus. Und nicht die wenigsten Impulse zur erotischen Lebenskunst verdanke ich meinem Freund, dem Eskimo-Schamanen Angaangaq. All diese Traditionen sind mir heilig und kostbar. Rumi, Hazrat Inayat Khan oder Ibn Arabi stehen in meinem persönlichen Heiligenschrein gleich neben Jesus, Franziskus oder Frère Roger. An diesen Menschen gefällt mir so, dass sie eine erotische Spiritualität gelebt haben und leben, die konkret und nah beim Menschen ist; eine diesseitige, sinnliche Spiritualität, die die Seele erfüllt, das Herz stärkt und den Körper nicht vergisst; eine Spiritualität, die nicht (wie manche östlichen Wege) zusammen mit dem Körper und dem Ich auch die Seele überwinden will, um ganz im nondualen Geist aufzugehen. Versteht mich nicht falsch: Ich habe nichts dagegen, wenn jemand im nondualen Geist aufgeht oder aufgehen möchte. Denn ganz sicher ist dies eine wunderbare Erfahrung der vierten Dimension unseres Bewusstseins. Ganz so wie guter Sex eine wunderbare Erfahrung der ersten Dimension unseres Lebens ist. Nur meine ich, dass wir nicht deshalb auf Erden sind, um dauernd guten Sex oder nonduale Erleuchtungserlebnisse zu haben, sondern um ganz und gar Mensch zu sein, so wie Jesus, so wie Franziskus, so wie Rumi – einleidenschaftlich liebender Mensch voller Erotik und Sinnlichkeit, voller Schönheit und Geist, voller Sexualität und Spiritualität …
Deswegen habe ich eine gewisse Skepsis gegenüber solchen spirituellen Schulen, die sich allein darauf fokussieren, Menschen zu Erleuchtungserfahrungen oder mystischen Einheitserlebnissen zu verhelfen. Sicher ist es wunderbar, solche Erfahrungen zu machen. Und wahrscheinlich machen wir alle sie irgendwann einmal, auch wenn längst nicht alle Menschen sie so benennen würden. Vielleicht reden sie von Glückserfahrungen oder einem großen inneren Frieden, der über sie gekommen ist. Wie auch immer: In solchen „Gipfelerlebnissen“ tauchen wir ein in die vierte Dimension unseres Bewusstseins und bringen von dort einen Geschmack der Ewigkeit und Grenzenlosigkeit mit. Und eben das scheint mir das Entscheidende zu sein: dass wir diesen Geschmack (den wir auch den Geschmack des Gottesreiches nennen könnten) in der Vielfalt und Mannigfaltigkeit unserer Seele aufgehen lassen und ihn kraft unseres liebenden Herzens in das komplexe Gefüge unseres menschlichen Lebens integrieren; ohne zu versuchen, diesem menschlichen Leben zu entkommen, indem wir Erleuchtungs- oder Gipfelerlebnisse verstetigen und zum alleinigen Ziel unseres Lebens machen. Denn noch einmal: Mir will nicht
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