Hingabe
Umschlag. Sie riss ihn vorsichtig auf und zog den Brief heraus.
Wieder eine Seite. Saubere Handschrift. Die Unterschrift „M.“ las sie als Erstes. Sie lachte kurz. Bücher las sie auch nicht von hinten nach vorne.
Lena begann zu lesen:
„Lena,
ich habe dich heute in die Tiefgarage bestellt,
habe dir gesagt, was du anziehen sollst.
Wann du wo sein sollst.
Du warst pünktlich,
es war alles so, wie es sein sollte,
es war alles so, wie ich es wollte.
Und, es ist alles so passiert, wie ich es wollte.
All das.
Ich weiß,
du hattest es geträumt, ohne es zu wissen.
Nun weißt du, wie es ist.
Nun weißt du, nun ahnst du,
wie es sein wird,
was sein wird.
Ich weiß, du bist bereit.
Ich passe auf dich auf.
Und es wird niemals etwas geschehen,
was du nicht willst.
Das ist mein Versprechen.
M.“
Ganz langsam verwandelte sich Lenas erschöpftes Gesicht zu einem Strahlen. Nichts auf der Welt hätte sie glücklicher machen können in diesem Moment als diese Zeilen. Es war wirklich so. Sie wusste ganz genau, dass ER sie immer auffangen würde. Bisher hatte sie immer die Kontrolle behalten undmusste nicht aufgefangen werden. Aber sie hatte sich auch niemals zuvor so fallen lassen. Eine nie gekannte Lust hatte sie empfunden. Und dabei hatte ER sie nicht mal wirklich berührt. Was würde erst sein, wenn ER sie berührte, wenn sie Sex hätten? Diese Blicke so körperlich zu spüren, zu einem unglaublichen Orgasmus zu kommen, ließ sich kaum beschreiben. Das könnte sie niemals jemand anderem erklären. Und M. wusste es. ER wusste genau, was ER tun musste.
Ja, sie war bereit. Bereit, alles zu erleben, wovon sie bisher nicht mal geträumt hatte.
Sie ging ins Bad und schaute sich im Spiegel an, während sie die Zähne putzte.
‚Lena‘, sagte sie sich. ‚Diesen Tag wirst du nie vergessen. Es ist vielleicht der Beginn der neuen Lena.‘
* * *
Als Lena am Morgen erwachte, fühlte sie sich ausgeruht. Entgegen ihren Erwartungen hatte sie wie ein Stein geschlafen, traumlos. Sie fühlte sich frisch, und nach kurzem Räkeln stand sie auf. Sie zog sich ihre Joggingsachen an und verließ ihre Wohnung. Beim Joggen konnte sie sich entweder völlig von ihren Gedanken lösen oder sich sehr gut konzentrieren und über bestimmte Dinge nachdenken. Schon oft hatte sie Lösungen zu Problemen gefunden, wenn sie ihre morgendliche Runde lief. Heute spürte sie beim Laufen ihre Energie. Die Bäume entlang der Alster spendeten Sauerstoff, den sie einsog, und sie lief wie in einem Rausch und ließ gedanklich dabei den gestrigen Abend Revue passieren. ER hatte sie fastnicht angefasst, ER hatte sie warten lassen, an einem Ort, den sie freiwillig so nicht aufsuchen würde. Und sie hatte alles gespürt, was sie sich nicht mal im Traum vorher ausgemalt hatte, seinen Willen, auch seine Lust, aber auf jeden Fall sein Auffangen, sein Da-sein, als sie IHN brauchte. Sie hatte ihm vertraut – und das an diesem Ort, und ER hatte sie belohnt.
Lena spürte, wie sie lächelte. Sie freute sich auf den kommenden Tag, was mochte er bringen? Wann würde ER sich, und vor allen Dingen wie, melden? Sie beendete das Laufen vor ihrer Haustür und sah auf ihre Uhr. Knapp zwei Minuten schneller als gewöhnlich.
Oben sah sie auf den Anrufbeantworter – keine Nachricht. Im Briefkasten war auch nichts, anders als sonst schaute sie auch auf ihren Laptop, auch da keine E-Mail. Sie musste sich also gedulden. Und das war nicht gerade ihre Stärke. Und doch störte sie das nicht. ER gab den Takt vor, ER würde ihr zeigen, was ER will. Und wann. Sie konnte sich auch darauf verlassen. Das wusste sie! Das wissende Lächeln nahm sie mit unter die Dusche.
Als sie sich anzog, klingelte das Telefon. Die Nummer auf dem Display erkannte sie sofort. Marcus.
„Guten Morgen.“
Seine Stimme klang fröhlich und ohne schlechtes Gewissen.
„Montag war es total doof, wir waren noch was trinken, und stell dir vor, ich hab verschlafen. Ich war den ganzen Tag neben der Kappe. Konnte dich abends dann nicht erreichen. Und dann fiel mir ein. Frauenabend mit Marie, oder?“
„Ja. Gut, dass du dich meldest, ich hab schon angefangen, mir Sorgen zu machen. Ich muss aber jetzt los, lass uns mittags telefonieren, okay?“
Lena verließ die Wohnung mit einem komischen Gefühl. Sie hatte ihn fast abgewimmelt. Was mache ich da?
Im Büro angekommen, suchte sie gleich nach Marie.
„Marie, du wirst nicht für möglich halten. Ich hab IHN gestern gesehen. Das heißt ich hab IHN nicht gesehen, aber
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