Hinreißend untot
genannt.
Ich lief ins Theater zurück und stellte fest, dass sich Billy hinter die Eintrittskartenkabine geduckt hatte. Ich nickte anerkennend. Derzeit gab es keinen sicheren Ort, aber das war immer noch besser als meine Gesellschaft oder die des Irren draußen.
Ich konzentrierte mich auf die Suche nach Myra. Es gab drei Personen im Gebäude, und nur eine war ein Mensch. Deutlich hörte ich den starken, gleichmäßigen Herzschlag; ich spürte ihn in der Kehle, wie etwas Dickflüssiges und Süßes. Die Vamps hielten sich nicht mit Banalitäten wie einem Puls auf, aber ich roch sie. Und selbst aus dieser Entfernung nahm Augustas empfindliche Nase frischen Pinienduft wahr.
Ich folgte Augustas Verlangen durch die Bereiche hinter der Bühne und versuchte, Myras genauen Aufenthaltsort festzustellen, doch dieser Teil des Theaters war wie ein Irrgarten aus kleinen Zimmern und Fluren, die an einer Wand endeten. Hinzu kamen die überall stehenden und hängenden Requisiten. Ich kämpfte mich durch einen Wald aus gemalten Bäumen und fand mich plötzlich in den Kulissen wieder. Das Theater war so dunkel, dass menschliche Augen kaum etwas gesehen hätten. Ich bemerkte weitere Requisiten – eine Truhe, zwei Fahnen und einige stumpfe Lanzen –, die auf ihren nächsten Auftritt warteten. Anzeichen von Aktivität gab es hier nicht, und der Herzschlag des Menschen war noch immer ein ganzes Stück entfernt.
Schließlich entdeckte ich mein Ziel in einem Raum hinter der Bühne, hinter einer staubigen Treppe und mehreren alten Rüstungen. Ich behielt die mitgenommen wirkenden alten Ritter im Auge, als ich an ihnen vorbeischlüpfte, doch keiner von ihnen rührte sich. Das erste Zimmer, das ich erreichte, war wie ein Speiseraum eingerichtet, mit einem großen glänzenden Holztisch, der praktisch nach Bienenwachs stank. Er bestand aus Eiche, ebenso wie die Holzvertäfelung an den Wänden und die Balken an der Decke. Mein Blick strich über einige Porträts und einen großen Kamin. Das Zimmer fühlte sich irgendwie gruselig an und hätte sich gut als Hintergrund für zwei Vampire geeignet, aber sie fehlten.
Die noch glühende Asche im Kamin und eine Karaffe mit zwei Gläsern auf dem Tisch teilten mir mit, dass die beiden Vampire vor kurzer Zeit noch da gewesen waren. Angelockt von einem seltsamen Geruch sah ich ins Nebenzimmer und fand den Menschen. Doch es war nicht Myra.
Ein großer, beleibter Bursche mit dunklem Haar und seltsamerweise rotem Bart stand an einem Tresen, und sein offenes Hemd gewährte Blick auf einen haarigen Bauch. Er hielt eine Kerze in der Hand, und ich identifizierte den Geruch. Er schien zu versuchen, die Haut am Bauch zu schmelzen – sie war bereits so rot geworden wie ein Hummer. Einige Stellen, die mehr Aufmerksamkeit bekommen hatten als andere, warfen Blasen. Der Mann weinte lautlos – Tränen rollten ihm über die Wangen und verschwanden in seinem Bart –, aber er hörte nicht auf. Ich lief zu ihm und stieß die Kerze beiseite. Sie rollte über den Boden und ging aus, und er sah ihr wortlos nach. Dann griff er ins Regal hinter sich, nahm eine andere Kerze und wollte sie anzünden, aber ich stieß sie ebenfalls fort. Ich sah ihm in die Augen, doch es war niemand zu Hause. Jemand hatte ihm eine Suggestion gegeben, und eine ziemlich starke noch dazu. Ich versetzte ihm eine Ohrfeige, was jedoch nicht zu helfen schien. Er starrte ins Leere, und deshalb war es nicht leicht, seinen Blick einzufangen. Vampiren fiel es schwer, Leute zu beeinflussen, die betrunken, high oder verrückt waren, weil in solchen Fällen das Bewusstsein nicht richtig funktionierte. Offenbar galt das auch für Personen, die der Wirkung einer Suggestion unterlagen. Schließlich bekam ich seine Aufmerksamkeit, als ich die Kerzen und Streichhölzer in einen Mülleimer warf und ihn daran hinderte, sie zurückzuholen. Daraufhin wurde er wach genug, mich zu erkennen, und damit einher ging Schmerz. Ihn erwartete weitaus mehr Pein, wenn sich der Nebel um seinen Geist lichtete, aber derzeit war ihm nur unwohl.
»Wo ist Myra?«, fragte ich. Er starrte mich so an, als fiele es ihm schwer, sich an englische Worte zu erinnern. »Haben Sie eine junge Frau gesehen, kleiner als ich, mit sonderbaren Augen …«
»Der Herr und Lord Mircea duellieren sich«, sagte er traurig. Ich wiederholte die Frage, aber er sah mich stumm an. In seinem Kopf gab es nur einen Gedanken, und der galt nicht Myra.
»Wo findet das Duell statt?« Wenn ich bei Mircea war,
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