Hinreißend untot
geworden. Stoff zum Nachdenken gab es genug.
Nach dem, was ich erfahren hatte – mein Wissen stammte hauptsächlich aus von Billy Joe aufgeschnappten Gerüchten –, sah die Sache folgendermaßen aus: Wenn jemand aus meiner eigenen Epoche an der Zeitlinie herumpfuschte, war ich am Zug. Dann lag das Problem bei mir, und ich musste es lösen. Aber wenn jemand aus einer anderen Zeit sich einzumischen versuchte, fiel das in den Zuständigkeitsbereich der Pythia aus der Ära der betroffenen Person. Wenn das stimmte, konnte ich davon ausgehen, dass der Einfluss, der mich hierher gebracht hatte, aus meiner eigenen Zeit stammte. Doch die einzige mir bekannte Person, die sich durch die Jahrhunderte bewegen konnte, war im Augenblick nicht dazu imstande. Billy hatte bei einigen seiner Geister-Freunden nachgefragt und erfahren, dass die Wunden, die ich Myras Phantomkörper zugefügt hatte, sich nach der Rückkehr in ihren Leib als echte physische Wunden manifestieren würden. Und es war völlig ausgeschlossen, dass sie in nur einer Woche heilten.
Doch wenn es sich bei der von diesem Geist erwähnten Frau nicht um Myra handelte, so kam nur eine andere Pythia infrage. Vielleicht war meine Macht durcheinander geraten oder bei einem schwierigen Problem um Hilfe gebeten worden. Ich wusste nicht, wie diese Angelegenheit funktionierte – praktisch alles war möglich. Wenn es mir gelang, die andere Pythia zu finden, konnte ich um einen kleinen Kolleginnengefallen bitten und sie vielleicht dazu bringen, Pritkin und mich in unsere Zeit zurückzuschicken. »Können Sie mir die andere Frau zeigen? Vielleicht kann ich sie dazu überreden, diesen Ort zu verlassen und auch mich nach Hause zu schicken.« Die Phantomdame zögerte unsicher, aber der Kopf schien gern bereit zu sein, mir zu helfen. »Natürlich können wir sie Ihnen zeigen!«, plapperte er munter. »Sie ist nicht weit entfernt. Eben befand sie sich noch in einer der Logen.« Angesichts der Begeisterung des Mannes rang sich die Frau zu einer Entscheidung durch. »Na schön. Beeilen wir uns.«
Die Geister folgten mir die Treppe hinunter und waren höflich genug, nicht durch mich zu schweben. Anschließend führten sie mich zur Loge neben der von Mircea. Ich schob den Vorhang beiseite und warf einen Blick hinein, sah jedoch niemanden. Auf der Bühne gestikulierte eine Frau, die ein grünes mittelalterliches Gewand mit weiten, rot abgesetzten Ärmeln trug. Ich achtete nicht auf sie. Mein Blick galt Mircea in der Loge nebenan, der nicht etwa die Schauspielerin beobachtete, sondern die üppig verzierten und vergoldeten Einfassungen der Bühne – er schien tief in Gedanken versunken zu sein, und ich ahnte den Grund dafür. Als ich ihn sah, wurde alles andere unwichtig. Ich war schon einmal verzaubert worden, aber so hatte es sich nicht angefühlt. Bei jener Gelegenheit hatte ich gewusst, einem magischen Einfluss zu unterliegen, und es war mir egal gewesen. In diesem Fall hinderte mich das Wissen um den
Geis
nicht daran, alles für vollkommen echt zu halten. Ich hasste, was Mircea mit mir gemacht hatte, aber ihn selbst konnte ich nicht hassen. Allein der Gedanke daran erschien mir völlig abwegig.
»Dort.« Ein Finger des Geistes erschien vor meinem Gesicht. »Der Wein ist bereits serviert.«
Die Phantomfrau zeigte auf ein Tablett mit einer Flasche und mehreren Gläsern – es stand auf einem kleinen Tisch hinter den Sesseln, in denen Mircea und die Blondine saßen. »Wovon reden Sie da?« Ich zwang mich, den Blick von Mircea abzuwenden und den Geist anzusehen. Etwas Rationalität kehrte zurück. »Soll das heißen, es ist Gift in der Flasche?«
»Sie meinte, sie würde bleiben, bis der Wein getrunken ist, aber vielleicht hatte sie nicht genug Kraft.« Zum ersten Mal wirkte die Geistfrau zufrieden. Ich konnte ihren Gedanken fast hören:
Eine erledigt, eine übrig.
So etwas wie Panik erfasste mich bei der Vorstellung, dass Mircea etwas zustoßen konnte. Rasch verließ ich die Loge und stieß gegen Pritkin, der mit der üblichen Verärgerung im Flur stand. Er hielt mich fest und bewahrte uns beide vor einem Sturz zu Boden. »Lassen Sie mich los!« Seine Hände hatten sich schmerzhaft fest um meine Oberarme geschlossen. »Ich muss da rein!«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie sich von ihm fernhalten sollen. Legen Sie es darauf an, vollkommen den Verstand zu verlieren?«
»Dann übernehmen Sie’s«, sagte ich und musste eingestehen, dass er vielleicht recht hatte. Mein Wunsch,
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