Hinreißend untot
mich mit einem neutralen Gesichtsausdruck an, doch als sie sprach, klang ihre Stimme nicht erfreut. »Warum stören Sie uns?« Ich seufzte so tief, wie es mir in dem verdammt eng sitzenden Korsett möglich war. Das hatte mir gerade noch gefehlt: ein verärgerter Geist. Ich war dankbar dafür, nicht als Geist in diese Zeit geraten zu sein, denn dann hätte ich jetzt weitaus mehr Grund gehabt, mir Sorgen zu machen. Ich hatte einige Zeitreisen ohne Körper hinter mir, war dabei als Geist oder im Kopf einer fremden Person in einer anderen Ära erschienen. In beiden Fällen ergaben sich größere Probleme als dabei, eine Zeitlang ein unbequemes Kostüm zu tragen.
Wenn ich meinen eigenen Körper zurückließ, musste sich ein anderer Geist gewissermaßen als Babysitter um ihn kümmern – sonst riskierte ich den Tod. Da ich dabei meistens nur auf Billy Joe zurückgreifen konnte, versuchte ich so etwas zu vermeiden. Vor allem in Vegas, wo alle seine Lieblingslaster nahe waren. Der andere Nachteil von Zeitreisen als Geist: Sie erschöpften mich so schnell, dass ich kaum etwas tun konnte, es sei denn, ich nahm jemandem in Besitz und griff auf die Kraft der betreffenden Person zurück. Aber ich mochte es nicht einmal, aus der gleichen Tasse wie jemand anders zu trinken, geschweige denn, einen fremden Körper zu benutzen. Als ich zur Erbin der Pythia geworden war, hatte ich dadurch die Fähigkeit gewonnen, meinen Körper bei den Ausflügen durch die Zeit mitzunehmen, obgleich auch damit ein Nachteil verbunden war. Einmal hatte ich in einer Frau gesteckt, die sich eine Verletzung in Form eines fast ganz abgetrennten Zehs zuzog – zum Glück hatte ich diese Wunde bei der Rückkehr in meinen eigenen Körper zurückgelassen. Doch wenn mir jetzt etwas zustieß, konnte ich mich nicht einfach mit einem weiteren Sprung durch die Zeit davon befreien. Der Vorteil meiner gegenwärtigen Situation bestand darin, dass Geister keine große Macht über die Lebenden hatten. Sie konnten unter bestimmten Umständen anderen Geistern die Kraft stehlen, aber der Angriff auf einen lebenden Körper kostete sie mehr Energie, als sie dadurch gewannen. Trotzdem war es vermutlich besser, diese besondere Erscheinung nicht zu provozieren.
»Ich verlasse diesen Ort bald«, sagte ich und hoffte, dass es der Wahrheit entsprach. »Ich muss noch etwas erledigen, und dann bin ich weg.«
»Sie gehören also nicht zu den Theaterleuten?«, fragte der Kopf und klang enttäuscht.
»Ich bin nur auf Besuch hier«, erwiderte ich schnell, denn die Augen der Frau begannen zu glühen. Das war kein gutes Zeichen bei einem Geist. Es bedeutete, dass er seine Kraft sammelte, und meistens bekam man sie kurz darauf zu spüren. »Ehrlich, ich
möchte
weg von hier, aber es geht noch nicht. Ich hoffe, dass es nicht mehr lange dauert.«
»Das hat die andere ebenfalls gesagt«, verkündete die Frau, und Bewegung geriet in ihr dunkles Haar, als sich die Aura der Macht intensivierte. »Aber nach dem Vergiften des Weins ging sie nicht. Und jetzt sind Sie hier. Das muss aufhören.«
»Die andere?« Das gefiel mir gar nicht. »Die einzige andere Person, die ich mitgebracht habe, ist ein Mann. Vielleicht haben Sie ihn gesehen. Gut eins siebzig, blond, wie der Terminator gekleidet. Tschuldigung«, sagte ich, als der Geist die Stirn runzelte. »Ich meine, er trägt einen langen Mantel über reichlich Waffen. Er wird gleich zurück sein, und dann klären wir diese Sache.«
»Uns geht es nicht um den Magier«, sagte der Geist streng. »Sie und die andere Frau sind die Bedrohung. Sie müssen gehen.«
»Ich fürchte, sie ist ein wenig territorial«, sagte der Kopf mit Anteilnahme. »Wir sind schon ziemlich lange hier, wissen Sie. Dieses Land gehörte meiner Familie, bevor sie ein Theater darauf bauten, und es erhält uns.« Er warf mir einen fröhlichen Blick zu. »Heutzutage macht’s mehr Spaß. Die verdammten Rundköpfe haben alle Theater geschlossen, außerdem auch noch die Pubs, Bordelle und alles, was keine Kirche war. Sie verboten sogar den Sport am Sonntag! Wenigstens waren sie so zuvorkommend, mich zu köpfen, damit ich das alles nicht erleben musste. Aber am Ende haben wir triumphiert, nicht wahr?«
»Mhm.« Ich hörte kaum hin. Die Geister, denen ich bisher begegnet war, wollten mir immer die Geschichte ihres Lebens erzählen, und wenn ich nicht gelernt hätte, zu nicken und zu lächeln und dabei an ganz etwas anderes zu denken, wäre ich schon vor einer ganzen Weile verrückt
Weitere Kostenlose Bücher