Hinreißend untot
glühendes Messer huschte über die Brüstung der Loge hinweg, ging tiefer, flog dicht über den Köpfen der Zuschauer – was einige Schreie zur Folge hatte – und hielt dicht vor dem Gesicht des verblüfften Schauspielers an. Dort wiederholte es die nickende Bewegung, als wollte es sich vor Macbeth verbeugen, und flog dann zu mir zurück. Donnernder Applaus übertönte den Rest des Monologs auf der Bühne.
Der aufmerksamkeitsgeile Dolch war gerade wieder Teil meines Armbands geworden, als ich die Desorientierung eines bevorstehenden Zeitsprungs fühlte. »Nehmen Sie meine Hand, schnell!«, rief ich Pritkin zu. »Der Start erfolgt in wenigen Sekunden.«
Er hatte den Moment der Ablenkung genutzt, um sich von der Blondine loszureißen. Sie stand zwischen ihm und dem Ausgang, aber er löste das Problem, indem er auf einen leeren Sitz sprang und über die Trennung zwischen den beiden Logen hinwegsetzte. Am Rand wäre er fast ausgerutscht, aber ich ergriff seine Hand. Einen Augenblick später fielen wir erneut durch die Zeiten.
Drei
Wir landeten auf einem weißen Fliesenboden, und etwas fiel mit einem
Plopp
direkt vor meine Nase. Ich schielte bei dem Versuch, das nahe Etwas zu identifizieren. Kaum war mir das gelungen, quiekte ich laut, wich zurück und stieß dabei gegen Pritkin. Eine gewölbte Hand mit Farbe und Textur von altem Stein nahm den Gegenstand auf und legte ihn auf ein silbernes Tablett. »Gäste haben hier keinen Zutritt«, informierte mich ein knirschender Bariton. Ich antwortete nicht und war zu sehr damit beschäftigt, auf die Servierplatte mit den abgetrennten Fingern zu starren, die der Eigentümer der Stimme in langen, krummen Klauen hielt. Vielleicht hätte meine Sorge vor allem dem grünlichen Gesicht gelten sollen, das wie schimmelbesetzter Fels aussah und mich über das Tablett hinweg musterte. Eine dicke Narbe reichte von der Schläfe bis zum Hals, und das eine übrig gebliebene Auge, gelb und schlitzförmig, rang mit zwei schwarzen, gewundenen Hörnern um seinen Platz auf der Stirn – es war etwas, das man nicht alle Tage sah. Doch mein Blick klebte an den abgetrennten Fingern fest.
Es mussten zwanzig oder mehr sein, alles Zeigefinger, soweit ich das feststellen konnte, und sie lagen zwischen Brotstücken. Die Krusten waren weggeschnitten, und ein gefranstes Stück Römersalat umgab jedes Stück. Finger Food, dachte ein Teil von mir. Ich keuchte und wusste nicht, ob ich voller Ekel würgen oder hysterisch kichern sollte. Schließlich hob ich den Blick, und er wanderte durch einen Raum, den ich als Küche erkannte. Ein anderes steinfarbenes Geschöpf – mit glühenden grünen Augen und Fledermausflügeln –, stand auf einem Stuhl und drückte etwas in kleine, fingergroße Backformen. Mein gefrorenes Gehirn taute weit genug auf, um den Geruch zu deuten. »Oh, dem Himmel sei Dank.« Ich sank erleichtert gegen Pritkin. »Es ist bloß Pastete!«
»Wo sind wir?«, fragte er und zog mich auf die Beine. Es fiel mir schwer, das Gleichgewicht zu wahren, denn ich hatte irgendwie einen Schuh verloren, und außerdem rauschte ein größeres graues Ding vorbei und traf mich mit dem Schwanz. Das Geschöpf trug weiße Kochkleidung, einen kleinen roten Schal und einen hohen Hut. Am Hemd entdeckte ich ein sehr vertrautes Wappen in Rot, Gelb und Schwarz – Tonys Farben.
»Wieder im Dante’s, allerdings in der Küche.« Als Pritkin in dem Theater auf mich gefallen war, musste er meine Konzentration beeinträchtigt haben. Wir waren ein wenig vom Kurs abgekommen.
»Sind Sie sicher, dass das das Kasino ist?« Der Magier blickte auf ein nahes Tablett, auf dem Radieschen lagen – sie waren geschält und so hergerichtet, dass sie menschlichen Augen ähnelten. Oliven bildeten die Pupillen, und der Nelkenpfeffer schien uns anzustarren. Ich sah mir das Wappen genauer an, das jede Uniform in Sichtweite zierte und sich auch über der Pendeltür auf der anderen Seite des Raums zeigte. Es kam mir sehr bekannt vor. Antonio Gallina war außerhalb von Florenz in eine Familie von Hühnerbauern geboren worden, etwa zu der Zeit, als Michelangelo als Bildhauer für den alten Medici tätig gewesen war. Etwa zweihundert Jahre später, als der verarmte englische König Karl I. damit begann, Adelstitel zu verkaufen, um seine Kunstleidenschaft zu finanzieren, hatte der zum Meistervampir gewordene uneheliche Bauernsohn genug Geld beiseite geschafft, um sich die Baronetswürde zu kaufen. Ich persönlich fand, dass die Herolde
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