Hinreißend untot
half gegen den wahnsinnigen Schmerz. Die Knie gaben unter mir nach, als die Schreie verklangen, und Mircea fing mich auf, als ich zusammensackte.
»Mircea! Bitte …« Ich wusste nicht, worum ich bat. Er sollte nur dafür sorgen, dass es aufhörte und ich mich wieder besser fühlte. Ich überwand die geringe Entfernung zwischen uns und küsste ihn verzweifelt. Einige Sekunden lang konnte ich die vertraute Wärme seines Munds und den sauberen Geruch seines Körpers genießen, doch dann wich er erneut zurück. »Cassie, nein!« Es klang gepresst, als fiele es ihm schwer, die Worte auszusprechen. Er schloss beide Hände um meine Oberarme und drückte mich fort, aber er zitterte, und ich sah an seinem Hals, wie er mühsam schluckte. Mircea kämpfte gegen den
Geis
an, begriff ich schließlich, doch ich konnte ihm nicht dabei helfen. Die Hände glitten nach oben, hielten meinen Kopf, glätteten mein Haar. Der Schmerz und die Wonne zusammen wirkten verheerend. Agonie und Ekstase durchströmten mich abwechselnd, und mein Puls hämmerte so laut in meinen Ohren, dass ich kaum noch etwas anderes hörte. Als ich glaubte, es nicht mehr ertragen zu können und überschnappen zu müssen, flackerte die Energie plötzlich und schuf etwas ganz anderes: einen funkelnden Glanz, wie Wasser im Schein der Wüstensonne. Einer Gezeitenwelle gleich schwappte das Schimmern über uns, und von einem Augenblick zum anderen verschwand der Schmerz. Ein überwältigendes Gefühl von Erleichterung nahm seinen Platz ein, gefolgt von intensiver Freude. Ich sah die Verblüffung in Mirceas Augen, als er es ebenfalls spürte.
Plötzlich merkte ich, dass mir weitere Tränen über die Wangen liefen. Ihre Quelle war nicht die Erinnerung an den Schmerz, sondern die Erkenntnis, wie gut ich mich in Mirceas Nähe fühlte und wie sicher ich bei ihm war. Alle schönen Träume meines Lebens – von einem Zuhause, von Familie, Liebe und Akzeptanz – schienen in diesem einen zusammengefasst zu sein, und es war so großartig, so absolut herrlich, dass es mich allem anderen gegenüber blendete. Für einen Augenblick vergaß ich Tomas, Myra, Tony und die ganze lange Liste meiner Probleme. Sie schienen überhaupt keine Rolle mehr zu spielen.
Ich zitterte am ganzen Leib, als mir etwas dämmerte. Es ging nicht nur darum, dass ich mich zu Mircea hingezogen fühlte. Gewöhnliche Anziehung war nicht auf diese Weise beschaffen. Sie nahm mir nicht die Fähigkeit zu atmen, sie erfüllte mich nicht mit Schmerz. Sie ließ mich nicht schon bei der Vorstellung, von Mircea getrennt zu sein, hoffnungslos und verzweifelt werden. Ich klammerte mich an ihn, obwohl ich wusste, dass er meine Gefühle nur erwidern konnte, wenn ein Zauber ihn dazu zwang, aber es kümmerte mich nicht. Es war mir gleich, ob er meine Liebe erwiderte oder nicht. Es verlangte mich nach ihm wie nach einer Droge; ich brauchte ihn, um mich lebendig zu fühlen, ganz. Noch etwas mehr davon, und ich würde alles tun, wirklich alles, um nie wieder von ihm getrennt zu sein.
In der Festigkeit von Mirceas Griff spürte ich ein ähnliches Gefühl und verstand. Leidenschaft schien nur einer von vielen Tricks des
Geis
zu sein, und nicht der gefährlichste. Nicht annähernd.
»Wann hast du ihn mit dem Zauber belegt?«, fragte die Konsulin. Ich sah sie benommen an und hatte ganz vergessen, dass sie überhaupt da war. Meine Gedanken waren langsam und träge, die Luft um mich herum schwer, und ich musste mich bemühen, die Bedeutung der Frage zu erkennen. Ich dachte über meine Möglichkeiten nach, und das Ergebnis war ernüchternd. Eine Antwort in der Art von »Ich weiß nicht« brachte mich vermutlich kaum weiter, aber das galt sicher auch für den Versuch, der Konsulin zu erklären, dass sie sich irrte. Ich hatte keine Ahnung, welche Antwort sie zufriedengestellt hätte und wie viel Zeit ich gewinnen musste. Und dass Mircea etwas an meine Puppen stieß, half mir kaum.
Ich senkte den Blick und stellte fest, dass es sich bei dem Objekt um einen rosaroten Stöckelschuh handelte, den er offenbar in einer Innentasche seiner Jacke getragen hatte. Das Ding sah seltsam zerbrechlich aus. An einigen Stellen löste sich der dünne Satin, und mehrere dunkle Pailletten hingen nur noch an Fäden. Der Schuh sah uralt aus, abgesehen vom Design. Ich bezweifelte, ob es in der guten alten Zeit solche Stelzen gegeben hatte.
Nach einigen Sekunden ging mir ein Licht auf. Am Morgen war ich im Dantes durch die Küche gehumpelt, weil ich einen
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