Hinreißend untot
Rauch von einem Feuer. Zuerst dachte ich, dass Kraft an einer undichten Stelle entwich, doch dann berührte mich eine der Ranken, und ich verstand. Es fühlte sich wie eine meiner alten Visionen an, die Art, die mir kurze Ausblicke in die Zukunft gewährte. Seit dem Streit mit der Pythia hatte ich keine mehr bekommen und mich gefragt, ob sie für immer fort waren. Etwas von mir hoffte das. Sie waren Teil meines Lebens gewesen, so weit ich mich zurückerinnern konnte, und nie hatten sie mir irgendetwas Gutes gezeigt. Das war keine Ausnahme. Das Fragment einer Vision kräuselte sich um meinen Arm, obwohl ich versuchte, ihm auszuweichen. Es war so heiß, dass ich Brandblasen auf der Haut erwartete. Stattdessen bekam ich etwas noch Schlimmeres, ein Mosaik aus Bildern, jedes grausamer als das vorherige: ein blutverschmierter Mircea, der in einem rasend schnellen Schwertkampf um sein Leben kämpfte; eine triumphierende Myra, die aus den Schatten gelaufen kam und etwas nach ihm warf; eine Explosion, die ich mehr fühlte als hörte, die durch den Boden vibrierte und die Luft zerriss. Und dann, wo sich die beiden eleganten Kämpfer befunden hatten, eine Masse aus Fleisch und Knochen, die im matten Licht feucht und rot glänzte, so miteinander verschlungen, dass man nicht feststellen konnte, wo der eine Körper aufhörte und der andere begann.
Ich schrie und zuckte zurück, wodurch die Bilder wie Glas splitterten. Ich wankte nach hinten, so sehr darum bemüht, der schrecklichen Szene zu entkommen, dass ich mich nicht um Würde scherte. Verzweifelt sah ich mich um, aber die Blicke der meisten Vampire galten immer noch Mircea. Einige wenige musterten mich verwundert, aber niemand von ihnen machte den Eindruck, etwas Außergewöhnliches gesehen zu haben, geschweige denn den Tod eines der ranghöchsten Mitglieder des Senats. Für mich gab es nicht den geringsten Zweifel daran, was ich beobachtet hatte. Irgendwo und irgendwann war Myra erfolgreich gewesen.
Ich fühlte mich so, als hätte mir jemand einen Eimer voller Eiswürfel in den Bauch geschüttet. Meine Visionen bewahrheiteten sich immer. Ich hatte mehrmals versucht, es zu verhindern, insbesondere als ich jünger gewesen war. Oft hatte ich Tony von bevorstehenden Katastrophen berichtet und ihm geglaubt, als er mir versprach, dass er alles in seiner Macht Stehende tun würde, um sie zu verhindern. Aber natürlich hatte er nur nach Möglichkeiten gesucht, Profit daraus zu schlagen. Und letztendlich war immer alles genau so geschehen, wie ich es vorhergesehen hatte. Das galt auch für eine Vision, die ich als Erwachsene bekommen und nach der ich versucht hatte, einen Freund vor seiner drohenden Ermordung zu warnen. Selbst wenn er meine Nachricht bekommen hatte, am Ergebnis änderte sich dadurch nichts: Er war gestorben. Doch das alles hatte sich ereignet, bevor ich zur Pythia geworden war, beziehungsweise ihrer Erbin. Seitdem hatte ich mich verändert, oder? Und wenn Myra tatsächlich erfolgreich gewesen war – warum stand Mircea dann hier vor mir?
Schließlich sah ich wieder die Konsulin an. Ich brauchte Antworten, und Mircea war nicht in der Verfassung, sie mir zu geben. »Was geht hier vor? Ist das irgendein Trick?« Noch während ich die Frage stellte, wurde mir klar, dass es sich nicht um einen Trick handelte. Ich hatte genug Visionen erlebt, um das Echte zu erkennen, wenn ich es sah.
Die Augen der Konsulin wurden zu schmalen Schlitzen. »Spielst du mit mir?«, fragte sie so leise, dass ich sie kaum hörte.
Ich sah auf Tomas hinab und holte zischend Luft. Wer auch immer hier spielte, ich war es bestimmt nicht. »Ich will Tomas«, sagte ich und hörte das Zittern in meiner Stimme. »Offenbar wollen Sie ebenfalls etwas. Sagen Sie mir, was es ist. Vielleicht können wir eine Vereinbarung treffen.«
»Du weißt es nicht.« Schließlich sah ich doch ein Gefühl in dem wunderschönen Gesicht: Überraschung.
Tomas stöhnte, und ich verlor die Geduld. »Sagen Sie mir endlich, was los ist!« Nach der Vision lagen meine Nerven blank, und ich hatte keine Lust, gemütlich zu plaudern, während Tomas langsam verblutete.
Die Konsulin atmete tief durch, obwohl sie eigentlich gar keine Luft brauchte, und nickte. »Na schön. Entferne den
Geis,
mit dem du Lord Mircea belegt hast, und ich gebe dir den Verräter.«
Ich sah sie groß an. »Was?« Irgendwann schien ich irgendetwas verpasst zu haben. »Hier gibt es nur einen
Geis,
und zwar den, den ich von ihm bekommen habe! Er ist die
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