Hinter blinden Fenstern
Tote mit dem Werkstattbesitzer identisch ist, den Frau Soltersbusch erwähnt hat, ist nach wie vor nicht klar. Von Josef Nest, den übrigens seine Freunde und seine zweite Ehefrau, mit der ich gesprochen habe, Jo nennen, fehlt jede Spur. In München ist er nicht gemeldet, im Umland auch nicht. Früher hatte er eine Wohnung in der Hohenwaldeckstraße in Obergiesing. Wann er dort ausgezogen und wohin er gegangen ist, weiß ich noch nicht. Das können wir später herausfinden, ich wollte die Zeit nutzen, um wenigstens kurz seine beiden Exfrauen zu befragen. Ich brauchte allein eine Stunde für die Namensrecherche. Der Standesbeamte verlangte eine schriftliche Bestätigung, daß ich tatsächlich von der Kripo bin, dann rief er zweimal im Präsidium an und wollte Dr. Linhard sprechen.«
Schnaufend lehnte er sich zurück.
»Mißtrauen ist gut«, sagte Ohnmus. »Leider sind die Leute zur falschen Zeit mißtrauisch.«
Esther nahm die Mineralwasserflasche und füllte Gablers leeres Glas und ihr eigenes.
»Seine erste Exfrau betreibt ein Trachtenmodengeschäft in Bad Wiessee.« Gabler tippte mit dem Zeigefinger auf das Blatt. »Sie ist wieder verheiratet und hat Josef Nest aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Die zweite Exfrau, zehn Jahre jünger als er, also heute zweiundfünfzig, lebt in München, sie arbeitet als Sekretärin, übernimmt nebenher Schreibarbeiten. Sie lehnt es ab, in die Rechtsmedizin zu kommen und sich den Toten anzusehen. Von Josef Nest hat sie angeblich seit Jahren nichts mehr gehört.«
»Warum ›angeblich‹?« fragte Liz.
Der Neunundfünfzigjährige wandte sich an Fischer.
»Sprich du noch mal mit ihr, P-F.«
Fast alle Kollegen, die Polonius Fischer duzten, benutzten das Kürzel.
»Sie muß sich den Toten ansehen«, sagte Weningstedt.
»Wen hast du für die Videokassetten eingeteilt, P-F?«
»Gesa und Neidhard.«
Die beiden arbeiteten gemeinsam im dritten Stock, direkt neben Weningstedts zweigeteiltem Büro. »Wenn der Täter aus dem Viertel stammt«, sagte Gesa Mehling, »dann kennt er die Position der Kamera am Mittleren Ring. Und wenn der Innenhof zwischen der Anhalter Straße und der Riesenfeldstraße nicht gut zu sehen ist, wird eine Identifizierung praktisch unmöglich, noch dazu in der Nacht.«
»Die Kamera ist extra installiert worden, um die Gegend besser zu überwachen«, sagte Liz. »Und die Kollegen konnten damit auch schon einige Täter festnehmen, ich denk schon …«
»Auf dem Oktoberfest haben wir zwölf Kameras«, unterbrach Micha Schell. »Und die haben uns für unsere Ermittlungen bisher null genutzt. Null. Taschendiebe sind drauf, Besoffene, die sich mit Maßkrügen duellieren, ein Fastvergewaltiger. Alles ausgezeichnet. Aber wo ist unser Mörder? Wir haben ihn nicht drauf. Wir können ihn nicht rausfiltern. Wir sind …«
»Wir sind mit der Sichtung noch nicht durch«, sagte Liz.
»Zwölf Kameras, die sich um die eigene Achse drehen, und was nutzt uns das im Ernstfall? Wofür stellen wir die Dinger eigentlich da hin? Auf die Wiesn. Auf den Christkindlmarkt. Ostbahnhof. Stachus. Hauptbahnhof. Petuelring. Laß mich ausreden, Liz. Dreiundachtzig Kameras in der Allianz Arena. Dreiundachtzig, Liz. Und ich schwör dir, wenn da einer im Gewühl einen anderen absticht und wegtaucht, dann glotzen wir ins Leere. Ich bin noch nicht fertig. Wie viele Kameras gibt’s im MW-Bereich? Sechshundert. Straßenbahnen, U-Bahnen, S-Bahnen, Busse, alles unter Kontrolle. Blöderweise keine einzige Kamera in den Waggons, das wollen die bei den Verkehrsbetrieben nicht, ist ihnen zuviel Überwachung. Kann ich verstehen. Jetzt hätt ich fast den Flughafen vergessen. Wie viele Kameras, Liz?«
»Was weiß ich, tausend. Warum bist du so …«
Er ließ sie nicht ausreden und kümmerte sich auch nicht um das Räuspern seines Vorgesetzten. »Eintausendsechshundert. Schwenkbar in alle Richtungen, ist ja logisch. Wir sind dermaßen gesichert. Und vergiß nicht die Kameras vor den Banken und Juweliergeschäften und teuren Modeläden.«
»Wir müssen weitermachen, Micha«, sagte Weningstedt.
»Gleich.« Schell sah wieder Liz an, die ihm schräg gegenübersaß. »Die Kameras überall in der Stadt, in den Straßen, in den Tunnels, an allen Verkehrsknotenpunkten, auf den Plätzen, über die jeden Tag hunderttausend Leute drüberlaufen … Diese Kameras sind bloß für deine Susi und für sonst nichts.«
»Bitte?« Liz blickte in die Runde. »Für meine Susi? Wer ist meine Susi?«
»Was meinst du
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