Hinter blinden Fenstern
Marktlücke entdeckt. Er trägt zur Entwicklung der modernen Gesellschaft bei. Manchmal frag ich mich, ob die Allergie einen Schaden in seinem Gehirn angerichtet hat. Wußten Sie, daß sein Vater Hauptmann bei der Stasi war? Oder er ist es immer noch, kann man nicht so genau wissen. Die beiden haben wenig Kontakt, mein Mann und er, aber das Spitzeln liegt bei der Familie anscheinend im Blut.«
Unvermittelt drehte sie sich zur Seite, sah zum Fenster und drückte den Kopf aufs Kissen. »Ich will jetzt schlafen. Verhören Sie meinen Mann, ich hab Ihnen genug verraten. Und ich werde auch weiterhin mein Leben persönlich nehmen, ob Ihnen das paßt oder nicht.«
»Wer ist der Tote, Frau Soltersbusch?«
Sie schwieg.
»Im Gegensatz zu Ihrem Mann wollen Sie mit den Leuten nichts zu tun haben«, sagte Fischer.
Sie reagierte nicht.
»Irreführung von Polizeibeamten«, sagte er. »Behinderung von Ermittlungsarbeit, für mehr als zwei Jahre werden Sie dafür nicht verurteilt werden. Und falls der Richter Sie härter bestrafen sollte, dürfte es Ihnen nichts ausmachen. Sie versäumen hier ja nichts.«
Unmerklich drehte sie den Kopf. Nach einem Moment sagte sie: »Sie können mich nicht einschüchtern.« Sie zögerte. »Und ich laß mich auch nicht unterwürfig behandeln, auch von Ihnen als Polizist nicht. Ich bin ein ganz normaler Mensch, und ich verlange, daß Sie so mit mir umgehen wie mit anderen normalen Menschen auch.«
Fischer kam um das Bett herum und stellte sich neben Anita Soltersbusch. »Das Menschsein müssen Sie aber noch ein wenig üben«, sagte er wie beiläufig.
Da er nur die eine Hälfte ihres Gesichts sehen konnte, bemerkte er die Veränderung erst, als Anita Soltersbusch sich mit einem Ruck wieder aufrecht hinsetzte. Aus ihren Wangen war die letzte Farbe gewichen, ihre Haut aschgrau geworden. Wie die Hände des Toten im Müllhäuschen, dachte Fischer. Und wie von einem großen Schrecken geweitet, leuchteten ihre Augen hinter den Haaren in durchdringendem, unwirklichem, kaltem Blau.
»Aber … aber …«, begann Anita Soltersbusch. »Aber er ist … es nicht, ich hab doch … Wegen dem Schock, ich kann Ihnen nicht erklären, wieso ich beim Anblick … wieso mir auf einmal der Josef in den Sinn geschossen ist, der Josef.« Sie sah zur Wand. »Ich bin kein Unmensch. Ich behindere Ihre Arbeit nicht, ich hab mich gleich gemeldet. Eine halbe Stunde.«
Sie schob den Daumen der linken Hand wieder zwischen Zeige- und Mittelfinger. »Was glauben Sie denn, wie erschrocken ich war.« Sie hatte die Stimme gesenkt.
»Josef«, sagte Fischer.
Sie schloß die Augen und schüttelte den Kopf, bevor sie die Augen wieder öffnete. »Er war groß und kräftig, wie Sie.« Sie schaute Fischer nicht an. »Stattlich muß man sagen. Aber sagt man zu einem Kraftfahrzeugmeister stattlich? Josef war ein Anpacker, seine Werkstatt hat funktioniert, da hat keiner geschlampt. Der hatte seine Angestellten im Griff. Das muß man. Wir auch, mein Mann und ich. Aber dann ließ seine Frau sich scheiden, er suchte sich eine neue, die hat ihn ausgenutzt, und auf einmal hatte er Schulden. Sie hat ihm eine Eigentumswohnung aufgeschwatzt. Einige seiner spendablen Kunden zogen aus München weg oder sind nicht mehr gekommen, weil sie mit was unzufrieden waren, so was geht schnell. Eins kommt zum andern. Und eines Morgens bröckeln die Wände. So ist es immer. Er hat mir viel erzählt, im Vertrauen. Ist alles fast zwanzig Jahre her. Ich war Anfang dreißig. An ihn hab ich auf einmal denken müssen, und das hat mich gelähmt. Ich hab in der Küche gesessen und geheult.«
»Hat sich Ihr Mann den Toten auch angesehen?«
»Natürlich.«
»Das hat er der Polizei verschwiegen.«
»Ist das schlimm?«
»Hat er den Toten erkannt?«
»Er sagt, es ist nicht Josef.« Jetzt sah sie Fischer ins Gesicht. »Und er ist es auch nicht. Und ich bin kein Unmensch, und ich werd auch nicht verurteilt, weil ich eine falsche Aussage gemacht hab. Wenn ich gesagt hätte, das ist der Nest Josef, dann wär das eine falsche Aussage gewesen. Und Sie sind sehr brutal mit mir umgesprungen, und ich weiß noch nicht, ob ich nicht Anzeige gegen Sie erstatte.«
»Wegen was?« fragte Fischer.
»Das überleg ich mir noch.« Ihre Wangen überzog ein Hauch von Rosa.
»Ihr Schweigen war eine Lüge«, sagte Fischer.
Sie schwieg.
Fischer tastete in der Manteltasche nach seinem Handy.
»Hatten Sie eine Beziehung mit Josef Nest? Damals?«
»Nein.«
»Ein
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