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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Weningstedt, »wir dürfen uns nicht auf elektronische Augen verlassen.«
    »… Denn die Unbewußtheit ist das Fundament des Lebens. Wenn das Herz denken könnte, stünde es still.«
    Valerie Roland, die aufmerksam zugehört hatte, zerknüllte ihre Serviette und stand auf.
    Fischer senkte das Buch, verharrte, lächelte, legte das Stoffband zwischen die Seiten und stellte das Buch ins Regal zurück. Noch immer wunderte er sich ein wenig, wie andächtig seine Kollegen den Texten folgten – oder zumindest so taten – und darüber, daß sie ihn gelegentlich geradezu zu einer Lesung aufforderten und ihre Ermittlungen für ein gemeinsames Mittagessen unterbrachen. Den Inhalt der Lesung bestimmte Fischer allein. Zudem hatten sie verabredet, hinterher keine Fragen zu stellen, sondern unverzüglich ihr Tagwerk fortzusetzen. Beinah so, dachte Fischer, wie damals im Kloster, wo er voller Zuversicht seine Pflichten erfüllt hatte – bis zu jener Nacht, in der ein Gefühl von maßloser Menschenlosigkeit ihm den Verstand geraubt und seinen Glauben zerschmettert hatte.
    »Ich bringe die Exfrau des Toten in die Pathologie«, sagte er zu Gabler und nahm seine eingepackten Semmeln vom Teller.
    Die anderen trugen ihr Geschirr in die Küche im zweiten Stock, wo außer einer Waschmaschine, die nie benutzt wurde, auch eine Spülmaschine stand.
    »Entschuldige mal«, sagte Liz an der Tür zu Fischer. »Hast du dir etwa die Haare schwarz gefärbt?«
    Auch Valerie, Esther, Gesa und Gabler nahmen Fischers Kopf unter die Lupe.
    »Sieht wirklich so aus«, sagte Valerie.
    »Gib’s zu«, sagte Liz.
    »Schont eure Augen für wichtigere Dinge«, sagte Fischer und machte sich auf den Weg in sein Büro.

18 Ein Baum im falschen Park
    M it ihrem roten Mantel und ihren hellblonden, welligen Haaren erschien sie in dem kahlen gekachelten Kellerraum des Rechtsmedizinischen Instituts wie ein Signal des Lebens. Eine Minute lang hatte sie durch ihre grüngeränderte Brille stumm und regungslos das Gesicht des Toten betrachtet. Dann wandte sie sich mit einer ebenso entschieden wie trotzig wirkenden Bewe gung ab. Erst draußen im Innenhof fand sie die Sprache wieder.
    »Uralt sieht er aus, und krank. Und völlig anders«, sagte Senta Haffner. Sie zupfte an ihrer Nase und sah eine Weile zur Straße. »Aber es wär möglich, daß er es ist.«
    Sie zog eine Packung Zigaretten aus der Manteltasche und zündete sich mit einem silbernen Feuerzeug eine an. »Wo lag er? In einem Müllcontainer?« Sie rauchte. »Wie ein Stück Abfall? Wer hat ihn da hingelegt?«
    »Ich muß Sie noch einmal fragen«, sagte Polonius Fischer. »Erinnern Sie sich an ein bestimmtes Merkmal, ein Muttermal, eine Narbe, eine Verfärbung . «
    Nachdem er sie am Telefon zur Rede gestellt und angekündigt hatte, er würde sie mit einem Streifenwagen abholen lassen, falls sie sich weiter weigern würde, eine konkrete Aussage zu machen, war sie mit dem eigenen Wagen gekommen. Auf seine Fragen hatte sie nur knapp und unwirsch geantwortet. Mitgefühl zeigte sie nicht.
    Sie paffte die Zigarette und trat sie nach der Hälfte aus und scheuerte mit der Stiefelspitze über die Kippe. »Was schauen Sie so? Sind Sie Nichtraucher?«
    »Da drüben steht ein Aschenbecher.«
    »Hab ich nicht gesehen.«
    Sie zupfte wieder an ihrer Nase, verzog den Mund, schüttelte den Kopf. »Kann mich nicht erinnern. Kann sein, ich täusch mich. Jo war ein kräftiger Kerl, zupackend, gesund. Und der da drin … Menschen verändern sich. Anscheinend. Krass. Hatte er keinen Ausweis bei sich? Dumme Frage, dann wären wir jetzt nicht hier. Armer Hund.«
    »Er hatte Schulden, als Sie ihn verlassen haben.«
    »Ich hab ihn nicht wegen der Schulden verlassen, guter Mann. Denken Sie das ja nicht. Ich hab den Mann verlassen – und es steht immer noch nicht fest, ob wir von dem reden, der da drin liegt –, weil ich mich allein gefühlt habe. Weil der Mann sich nicht mehr um mich gekümmert hat. Er wollte nicht mehr ausgehen, er wollte nicht mehr ins Kino, er wollte nicht mehr ins Restaurant. Seine dämliche Werkstatt war ihm wichtiger.«
    »Sie haben ihn überredet, eine Eigentumswohnung zu kaufen«, sagte Fischer.
    »Ja. Auf so eine Idee wär der von selber nie gekommen. Er hat geschuftet und sein Geld dem Finanzamt vor die Tür gelegt. Immer alles ordentlich. Pünktlich Lohn bezahlt, Sozialabgaben abgeführt, Termine eingehalten, 1-A-Service. Und dann?« Sie schniefte. »Und dann steht er in der Wohnung, die ich besorgt habe,

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