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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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den rausstehenden Augen und dem eingetrockneten Blut. Gräßlich.«
    »Und das Gesicht«, sagte Fischer, »hat Sie an jemanden erinnert.«
    Anita Soltersbusch schüttelte den Kopf. Ein klägliches Nein.
    Fischer sagte: »An wen mußten Sie beim Anblick des Gesichts denken?«
    »An niemanden.«
    »An wen?«
    Sie schnaufte, die Bettdecke wölbte sich, anscheinend spielte sie mit dem Plüschtier, knetete es, bewegte es auf und ab.
    Für einige Sekunden war es vollkommen still.
    Dann hörte Fischer im Flur ein leises Scharren, vermutlich horchte Rupert Soltersbusch an der Tür.
    »Wenn Sie den Toten kennen«, sagte Fischer, »dann kennt ihn auch Ihr Mann.«
    »Das glaub ich nicht.«
    »Soll ich ihm sagen, er soll aufhören zu lauschen?«
    »Der kann nicht anders.« Zum erstenmal sah sie dem Kommissar länger in die Augen. »Und ich weiß mehr über ihn als er über mich.« Sie hob das Kinn in Richtung Tür. »Er denkt, er kann Einfluß auf die Dinge nehmen, die passieren. Denkt der allen Ernstes. Früher war er nicht so. Sie wissen wahrscheinlich, daß wir eine Bäckerei hatten, mein Mann ist Bäckermeister. Am Samstag, und später, als wir auch am Sonntag öffnen durften, standen die Kunden bei uns Schlange bis raus auf die Schellingstraße. Siebzehn Stunden am Tag schuften war üblich. Die Leute kamen von auswärts zu uns. Wir hatten ein älteres Ehepaar aus Garmisch, das kaufte bei uns sein Brot und seine Semmeln, die hatten Zeit und Geld und fuhren gern in die Stadt, die Frau sagte immer, unsere Laugensemmeln sind die besten auf der Welt. Und die beiden sind viel rumgekommen. Wir hatten eine schöne Wohnung in der Nähe, Altbau.«
    Sie stockte. In ihrem Gesicht bewegte sich kein Muskel.
    »Dann fing das mit der Allergie bei meinem Mann an, ständig mußte der zum Arzt, und dann mußten wir einen Ruhetag einlegen. Das hätt’s früher nicht gegeben. Die Allergie gegen bestimmte Getreidesorten und den Brotstaub wurde immer schlimmer. Er kriegte plötzlich keine Luft mehr, ein paarmal ist er bei der Arbeit umgekippt, lebensbedrohlich war das. Unsere Lehrlinge lebten in der ständigen Angst, daß der Chef tot umfällt. Montag Ruhetag. Dann auch am Sonntag. Die Kunden blieben weg, die merken sofort, wenn was nicht stimmt. Und auf einmal mußten wir anfangen zu rechnen, Urlaub fiel völlig flach, kein Südtirol mehr, von Venedig ganz zu schweigen. Eines Morgens wachen Sie auf und hören ein Knarzen in den Wänden, leise, aber Sie hören es genau, Sie wissen sofort, wenn Sie jetzt nicht haarscharf aufpassen und jeden Schritt genau planen, dann bricht alles über Ihnen zusammen. Dann stürzt das ganze Haus ein, und Sie haben morgen kein Dach mehr über dem Kopf. Da haben wir die Konsequenzen gezogen. Mein Mann hat Frührente beantragt, er hatte so viele Atteste, die hätten für mich auch noch gereicht. Wir haben dann das Geschäft zugesperrt, in dem mein Mann mit neunzehn als Lehrling angefangen und das er später übernommen hat. Raus aus dem schönen Altbau in der schönen Lage und ab nach Milbertshofen. Ein Kollege meines Mannes hat früher hier gewohnt. Wir zahlen wenig Miete und kommen über die Runden. Aber ihm genügt das nicht.«
    Mit angehaltenem Atem sah sie zur Tür. Dann ruckte sie mit dem Kopf, die Haarfransen erzitterten, und sie blickte wieder starr zu Fischer. »Der wird die siebzehn Stunden nicht los, so sehe ich das. Er muß was tun, sonst kommt er sich überflüssig vor, wie früher, wo er ständig in der Backstube rumgetan hat, auch wenn unsere Lehrlinge allein zurechtgekommen wären. Der mußte immer alles im Auge haben. Und jetzt beobachtet er die Leute. Tag und Nacht. Oft steht er nachts am Fenster und schaut mit dem Fernglas raus. Als würde hier irgendwas passieren. Seit die Kamera vorn am Ring hängt, fühlt er sich erst recht bestätigt. Hat die Stadt zuviel Geld? Weiß der Oberbürgermeister nicht, wohin mit unseren Steuern? Was so eine Kamera kostet! Tag und Nacht in Betrieb. Wie mein Mann. Und von mir behauptet er, ich wär die ganze Zeit wach. Der spinnt doch. Der ist allen Ernstes überzeugt, er hat die Fäden in der Hand. Und dann merkt er nicht mal, wenn ich den Tachostand in seinem Auto ablese und seinen Notizblock kontrolliere. Ich weiß genau, wen er ausspioniert, wen er verdächtigt, was er mit seinen Freunden bespricht.«
    Wieder hielt sie die Luft an und atmete dann wie erschöpft aus.
    »Diese selbsternannten achtsamen Mitmenschen«, sagte sie. »Mein Mann meint, er hat eine

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