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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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wie im Fußballstadion. Digitalisiere, was du unter die Finger kriegst. Die Fußballweltmeisterschaft war ein idealer Anfang. Eine Viertelmillion Leute wurden überwacht, Bier- und Würstelverkäufer, Putzfrauen, die Spieler selber, Kellner, alle möglichen Angestellten. Und die Daten flossen direkt zum Verfassungsschutz, wo sie mit den vorhandenen Daten abgeglichen wurden. Niemand wußte davon. Und die Eintrittskarten waren digitalisiert, sie sendeten Funksignale, wie die Pässe. Man konnte also jeden Besitzer einer Karte zuordnen und ihn orten. Hätte er was angestellt, wär er nicht weit gekommen. Hast du eine Kundenkarte von einem Supermarkt oder einem Kaufhaus? Nein? Schade. Stehen wichtige Daten drauf. Ich hab Hunger.«
     
    Valerie und Sigi Nick hatten Teller und Besteck verteilt und gelbe Servietten daneben gelegt. Für jeden gab es zwei Leberkässemmeln und eine kleine Portion Kartoffelsalat, wie so oft, wenn sie wenig Zeit zum Essen hatten, sich aber dennoch gemeinsam an einen Tisch setzen wollten.
    Die Semmeln auf Fischers Teller waren noch in Alufolie verpackt.
    »Vom Meyerling.« Mit einem erschöpften Seufzer ließ Valerie sich auf dem Stuhl am Kopfende gegenüber von Weningstedt nieder. »Und jetzt wird geschwiegen, und du liest uns was, bitte, P-F.«
    Wortlos stand Fischer auf, nahm ein rotes Buch aus dem Regal neben dem Fenster und lehnte sich an Weningstedts Schreibtisch. Er schlug das Buch an der Stelle mit dem grünen Stoffbändchen auf und wartete, bis seine Kollegen begonnen hatten zu essen.
    Es war ein Ritual aus alter Zeit.
    »Ich wurde zu einer Zeit geboren«, las Polonius Fischer, »in der die Mehrheit der jungen Leute den Glauben an Gott aus dem gleichen Grund verloren hatte, aus welchem ihre Vorfahren ihn hatten – ohne zu wissen, warum …«
    Das ist überhaupt kein Bluff, dachte Liz Sinkel. Ich kenne keinen Polizisten, der so redet wie Micha. Ich versteh nicht, wieso er einen Überwachungsstaat heraufbeschwört, bloß, weil wir darüber reden, wie wir möglicherweise unser Überleben sichern können. Susi! Selber Susi!
    »… Ich gehöre jedoch zu jener Art Menschen, die immer am Rande dessen stehen, wozu sie gehören, und nicht nur die Menschenmenge sehen, deren Teil sie sind, sondern auch die großen Räume daneben …«
    Und wenn wir noch so viele Gesichter mit dem Face-Finder-System abgleichen, dachte Micha Schell, und wenn wir mit Supersuchgeräten ausgestattete Drohnen über die Städte fliegen lassen, sitzt irgendwo in einer Nische ein Osama bin Laden und bastelt an seiner Bombe und lacht sich in den Bart über unsere gläsernen, rechtelosen Bürger.
    »… Deshalb habe ich Gott nie so weitgehend aufgegeben wie sie und niemals die Menschheit als Ersatz akzeptiert …«
    Man muß im Wald pfeifen, das vermittelt ein Gefühl von Sicherheit, dachte Emanuel Feldkirch. Da hat Liz recht. Aber seltsam ist es schon, daß wir auf keiner der zwölf Oktoberfestkameras ein brauchbares Bild gefunden haben.
    »Ich war der Ansicht, daß Gott, obgleich unbeweisbar, dennoch vorhanden sein und also auch angebetet werden könne …«
    Was bedeutet das? dachte Walter Gabler. Der Tote vom Oktoberfest wohnte in demselben Haus, vor dem der Stadtstreicher erschlagen wurde.
    »… daß aber die Menschheit, da sie eine rein biologische Vorstellung ist und nichts anderes bedeutet als eine Gattung von Lebewesen, der Anbetung nicht würdiger sei als irgendeine andere Gattung von Lebewesen …«
    Ich weigere mich, an einen Zufall zu glauben, dachte Neidhard Moll. Diese Stadt ist zu klein für Zufälle.
    »… Dieser Menschheitskult mit seinen Riten von Freiheit und Gleichheit erschien mir stets wie ein Wiederaufleben jener alten Kulte, in denen Tiere Götter waren oder die Götter Tierköpfe trugen …«
    Wir müssen, dachte Esther Barbarov, die Bewohner des Blocks noch einmal vernehmen, und zwar hier im Kommissariat, mit harten Bandagen.
    »… Da ich also weder an Gott noch an eine Summe von Lebewesen glauben konnte …«
    Die Dinge, dachte Gesa Mehling, liegen direkt vor uns, wir sehen sie nur nicht, wir wissen etwas, aber wir begreifen es noch nicht.
    »… verblieb ich wie andere Außenseiter in jener Distanz zu allem, die man gemeinhin Dekadenz nennt …«
    Ein Gehege von Lügnern, dachte Georg Ohnmus, und diese Bäckersfrau ist möglicherweise die Anführerin des Rudels.
    »… Dekadenz bedeutet den vollständigen Verlust der Unbewußtheit …«
    Unsichtbare Mörder gibt es nicht, dachte Silvester

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