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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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ballte, fester, und ihre Fingernägel in die Haut krallte, noch fester, mit einem Ausdruck maßloser Verachtung im Gesicht.
    »Niemand hat die Erlaubnis, mir so eine Frage zu stellen.«
    Ihre Stimme schwoll an wie die Adern an ihrem Hals, die Narben auf ihren Händen. »Versündigen Sie sich nicht, Herr Fischer, an einem Menschen, der wirklich gelebt hat, der immer da war und nie abwesend. Wie Ihr Gott da oben. Einen Menschen, der den Schnee erfunden hat, damit es heller ist in der Nacht. Was wissen Sie von so einem Menschen? Sie ziehen seinen Namen in den Schmutz und beleidigen mich und wollen mich zu etwas bekehren, das eine Lüge ist und immer eine Lüge war. Und Sie sperren mich in eine Zelle und wollen mich brechen. Aber Sie können mich nicht brechen. Und niemand hat meine Freundin Dinah gebrochen, obwohl so viele es versucht haben, so viele. Wie mich. Was wissen Sie von mir, Herr Fischer? Sie wissen, daß ich einen Nachtclub führe, ein Hurenhaus. Und Sie beschuldigen mich, einen Mann gekreuzigt zu haben, doch er hat sich selbst gekreuzigt, denn es war sein eigener Wille. So viele wollten uns brechen, Dinah und mich, und sie schlugen nach uns und sperrten uns ein. Sie sind nicht der erste, Herr Fischer, Sie sind ein hilfloser Knecht. In der Kälte in der Nacht sind wir gesessen und haben uns das Schreien und das Weinen verboten. Immer verboten. Und draußen liefen Leute vorbei und lachten und blieben stehen und schauten zu uns her. Sie haben uns nicht gesehen. Haben uns nicht gesehen. Da waren keine Fenster, nur Mauerwerk und alles undurchdringlich. Aber wir waren doch da. Und weil ich die Ältere war, hielt ich die Arme über sie, wenn ihr Vater sie schlug. Das ist alles bloß Alltag, das wissen Sie ja aus den Akten der ganzen Welt. Schlug und schlug, der Mann, mit Gürteln und Gerten, er war flexibel, der Herr Lustiger. Und drauf. Und ich hab meine Arme über sie gehalten, und sie hat nie geweint. Und ich hab nie geweint. Und er schlug und wunderte sich. Jahrelang, jahrhundertelang in der Nacht, in der Kälte. Da war kein Glück, Herr Fischer, von Anfang an, es geht auch so. Wenn man kein Glück hat, muß man weiterziehen und Vertrauen haben. In was? In was denn immer wieder? Bloß nicht in so was wie Gott. Wir nicht. Und er schlug zu, der Mann. Ein anderer Mann. Plötzlich ein anderer. Alles, was ich sage, können Sie gegen mich verwenden, Herr Fischer, jede Silbe, jedes Komma. Aber nichts, keinen Buchstaben, keinen Gedankenstrich gegen Dinah, sonst erschlage ich sie und weine nicht und weine nicht. Wollen Sie wissen, wie Herr Lustiger gestorben ist? Er ist im Sturm von einem Baum erschlagen worden. Auf der Straße im Orkan. Den Baum hat er nicht fallen hören. Der fiel vielleicht so leis wie Schnee, so leis. Wir haben nicht geweint. Herr Lustiger, der so gern geschlagen hat, ist selber erschlagen worden. Vielleicht hat er gesagt: Das tut aber weh. Das wär möglich, denn ich kenne einen Mann, der hat dasselbe gesagt im letzten Moment. Das tut weh, hat der Mann gesagt und die Hand gehoben, wie zum Schutz. Die Schutzhand hoch, der Tod kommt doch. Ich werd Ihnen aber nicht verraten, welchen Mann ich meine.«
    »Bertold Gregorian«, sagte Fischer.
    »Den kenn ich nicht. Dinah hat den Schnee erfunden, so war uns nie mehr finster. Und niemand konnte uns noch ein einziges Mal einsperren oder aufhalten. Niemand, nirgends, nichts. Im ›Lucy‹ fingen wir mit unserem neuen Leben an, und das hörte nie mehr auf. Bis heute nicht. Bis heut nicht, auch wenn Sie glauben, Sie können mich einsperren und kleinmachen in ihrer Zelle. Die Zelle ist nichts gegen das Verlies, aus dem ich herstamm. Und Dinah. Und wir zwei und so viele. Und wenn Dinah nicht gestorben wär. Und wenn Dinah nicht gestorben wär. Und wenn Dinah nicht gestorben wär.«
     
    Sie sah zum Fenster hinauf und – wie von etwas genötigt, das ein unbegreifliches Entsetzen in ihr auslöste – zum Kruzifiz an der Wand daneben.
    »Dieser Mann da oben …« Und sie brachte den Blick nicht von ihm los. »Der hat vielleicht wirklich gelebt und ist wirklich gekreuzigt worden. Aber er ist niemals auferstanden, das ist alles Lüge. Damit wir den Tod überhaupt aushalten, das ist der Trick. Darauf bin ich nie reingefallen, und auch Dinah nicht. Und auch Dinah nicht am Ende, als sie in ihrem Zimmer lag, in ihrem weißen Zimmer, unter meinen Armen, denn ich bin die Ältere. Das ist das Sterben, und das geht nicht schnell. Dinah, hab ich gesagt, Dinah, immer wieder in

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