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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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verständlich aus, Kolleginnen?«
    »Wir hätten was merken müssen«, sagte Esther Barbarov.
    »Wir wissen überhaupt noch nicht, was mit dem Mädchen los ist. Vielleicht leidet sie unter einem Trauma, sie ist noch nicht untersucht worden, wer weiß denn, ob das stimmt, was sie P-F erzählt hat? Wir haben versagt.«
    »Versagt.« Liz wischte sich schon die ganze Zeit die feuchten Hände an ihrer Hose ab. Fassungslos blickte sie vor sich hin.
    »Gemeinsam mit Hofmann werden wir eine Schilderung der Vorgänge ausarbeiten. Wir müssen offensiv vorgehen, wir dürfen nicht verschweigen, daß der Mann von uns befragt worden ist, wenn auch in einer anderen Sache. So etwas kann passieren.«
    »So etwas kann nicht passieren«, sagte Esther. »Es ist ausgeschlossen. Solche Fehler sind unverzeihlich. Solche Fehler können Todesurteile sein.«
    »Hör auf, dich reinzusteigern.« Es kam nicht oft vor, daß Weningstedt laut wurde, höchstens, wenn Schell seine Ausführungen über das Wesen des Alltagsmenschen zu weit trieb.
    »Niemand wußte zu diesem Zeitpunkt, daß sich die beiden Fälle überschneiden. Wir arbeiten an zwei Mordfällen, und wir arbeiten gut, die Hauptverdächtige sitzt drüben im Präsidium in einer Zelle, und ihr habt zügige und souveräne Ermittlungen durchgeführt. Und wenn ihr jetzt nach Hause gehen wollt, gebe ich euch frei. Es wäre mir sogar recht. Morgen früh um acht beginnt P-F mit der Vernehmung von Clarissa Weberknecht, und wir werten weiter unsere bisherigen Spuren aus, und da erwarte ich dieselbe Konzentration wie bisher. Die Besprechung ist beendet. Mit dem Pressetext befassen wir uns morgen um sieben, also seid pünktlich.«
    »Wir hätten etwas bemerken müssen«, sagte Liz.
    »Wie denn?« Weningstedt hatte fast gebrüllt. Unwillkürlich wichen die beiden Frauen mit dem Kopf zurück. »Entschuldigung. Wenn das Mädchen aus freien Stücken bei dem Mann war, begreift ihr das nicht, dann hat sie sich freiwillig vor euch versteckt, dann hättet ihr sie überhaupt nicht bemerken können.«
    »Die war doch nicht freiwillig bei dem«, sagte Esther Barbarov.
    »Niemals«, sagte Liz Sinkel.
    Tage und Wochen und Monate später glaubten sie es immer noch nicht.
     
    In dieser Nacht wünschte er, sie wäre nebenan und schliefe mit einem friedlichen Schnaufen, wie so oft, und er könnte vor ihrem Bett knien und sie betrachten, weil sie am Leben war. Aber Isabel übernachtete bei ihrer besten Freundin, und es war Wochenende und sie fühlte sich dort geborgen, und alles war gut.
    Das dachte Micha Schell, als er die Tür des Kinderzimmers einen Spaltbreit öffnete, wozu, das wußte er nicht.
    Alles ist gut, dachte er und schloß die Tür und ging in die Küche und nahm die Wodkaflasche aus dem Eisfach und trank ein volles Schnapsglas und noch ein zweites.
    Isabel war sieben Jahre alt und er fünfunddreißig, und wenn er zu Hause trank, nicht viel, aber genug, dann trank er auf seine Frau, die nicht mehr am Leben war, weil ein Bankräuber sie erschossen hatte. Und er trank auf seine Tochter, weil sie nur noch selten nachts weinte. Und er trank, weil er sonst hätte kotzen müssen, und er wollte kein kotzender Vater sein. Sondern ein guter.
    In dieser Nacht wünschte er, Isabel wäre nebenan.

27 Aber es schneite nicht
    S ie müssen mit mir sprechen«, sagte Clarissa Weberknecht. »Sonst werden wir uns beide zu Tode schweigen.«
    »Sie haben das Recht dazu«, sagte Polonius Fischer.
    »Ich habe das Recht, mich zu Tode zu schweigen? Ja?«
    »Ja.«
    Aufrecht saß sie vor ihm, wieder in einem schwarzen Hosenanzug, wie vor einem Jahr, als er in diesem Raum mit ihr über den toten Mann am Kreuz gesprochen hatte, wie gestern in ihrer Wohnung. Da sie ihre blonden Haare nach hinten gekämmt und mit einem Band zusammengebunden hatte, wirkte ihr Gesicht ungewöhnlich rund und streng. Fischer hatte den Eindruck, sie strecke ihren Busen absichtlich vor, vor allem dann, wenn sie die Hände in die Hüften stemmte und den Kopf in den Nacken legte, um ihn mit ihrem Schweigen zu provozieren.
    Obwohl Fischer sich in diesen Dingen nicht auskannte, hielt er ihr Parfüm für eines der teuren Marken, und er ertappte sich dabei, wie er den Duft, der den P-F-Raum erfüllte, leise einsog. Und Clarissa ertappte ihn auch.
    Nichts an ihr verriet, daß sie die Nacht in einer armseligen, noch aus dem frühen vorigen Jahrhundert stammenden Zelle im Polizeipräsidium verbracht hatte. Zur Begrüßung in der Burgstraße hatte sie Fischer stumm

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