Hinter deiner Tür - Aktionspreis (German Edition)
ja. Ich habe doch schon in der Gruppe davon erzählt.
Müssen wir jetzt darüber reden?“
„Da musst du jetzt durch. Lena, wie alt bist du geworden?
Dreiunddreißig? Wie alt musst du noch werden, um zu
begreifen, dass äußere Werte oberflächlich und … vergänglich
sind? Dass uns dies von den Medien suggeriert wird, damit wir
ihre Produkte kaufen. Dieser ganze Schönheitswahn ist ...“
„Danke. Das war jetzt wohl nicht gerade ein Kompliment,
oder?“
„Lena, jetzt mach mal einen Punkt. Ich finde dich süß.
Und so natürlich.“ Er wischte einen Krümel von seiner Hose.
„Hast du den kleinen Zeitungsartikel gesehen? Paul hat wohl gut
recherchiert, das muss man ihm lassen!“
„Nein, gib her!“ Ich riss ihm das Blatt beinahe aus den
Händen. Achtundzwanzig Jahre alte Sätze. Das Blatt fiel auf den
Boden. Ein Schwindel befiel mich; ich sank zurück. Bilder des
Traums drehten sich in meinem Kopf. Tobias hatte mir etwas
sagen wollen ...
„Das habe ich nicht gewusst, Thilo. Kannst du dir das
vorstellen? All die Jahre habe ich das nicht gewusst. Ich ... meine
... ich dachte ... ich habe nicht gut genug aufgepasst. Er sei
deshalb verunglückt ... Ich war doch selber noch ein Kind ...ein
kleines Kind!“, stieß ich aus.
Ich streckte mich auf der Couch aus. Thilo legte behutsam
den Arm um mich. Die Schleuse war wieder offen. Wann
würden meine Tränen versiegen?
„Was haben deine Eltern dir nur angetan, Lena? Hör zu,
Paul schreibt:
Wie sich im Interview mit Melanie S. herausstellte,
wechselte die Familie die Adresse. Die Mutter wurde
gefühlskalt, der Vater griff wiederholt zum Alkohol. So ging
jeder auf seine Weise mit der nicht verarbeiteten Trauer um.
Sie lebten weiter, als wäre nichts passiert. Inwieweit die
unterdrückten Gefühle Melanie heute noch belasten, zeigt ihr
Verhalten.
Die Familie machte einen großer Fehler, der auch heute
noch aktuell ist. Trauer wird nicht wichtig genommen, nicht
durchlebt.“
Die Stille hing schwer im Raum.
„Hm. Woher weiß er das nur alles? Das Interview gab es
doch gar nicht!“, schrie ich. Dann fiel mir der Silvesterabend ein
... Anja. Wir waren ahnungslos gewesen. Niemand wusste,
worauf Paul es abgesehen hatte. „Wir sind damals von Konstanz
nach Radolfzell gezogen. Das mit meinen Eltern stimmt wohl so.
Deshalb war meine Mutter so wütend. Sie hat mir den Artikel
gebracht. Wir haben uns heftig gestritten.“
„Deine Mutter verhält sich unmöglich, Lena! Aber
wahrscheinlich kann sie nicht anders. Sie hat versucht, sich
selbst vor den starken Gefühlen zu schützen. Schau, jetzt folgen
ein paar Aussagen von Psychologen, die die Zusammenhänge
erläutern. Hast du den letzten Satz gelesen?“
„Nein. Ich habe genug gehört. Können wir etwas anderes
…?“
„Hör zu“, unterbrach er mich. „Hier steht:
... Melanie ist eine sehr sympathische und attraktive Frau.
Ich wünsche ihr, dass sie es schafft, ihre Vergangenheit zu
bewältigen und ihr eigenes Leben zu leben.
Du, der mag dich - der Paul. Er hat es gar nicht böse
gemeint. Du wirst sehen, in ein paar Tagen wird das Ganze
vergessen sein!“
Thilo half mir, das eingestürzte Kartenhaus wieder
aufzubauen. Er musste sich auch nicht mit meinem Vater, meiner
Mutter, Daniel und der ganzen Welt auseinandersetzen. Er hatte
dieses Haus nicht aus einzelnen Karten mühsam errichtet. Auf
Treibsand gebaut. Das hatte ich nun davon ... „Lena, wenn du ein
paar Tage wegfahren möchtest, habe ich eine Idee. Bis Gras über
die Sache gewachsen ist.“
„Nein, Thilo. Das ist jetzt vorbei. Keine Ahnung, was ich
tun werde! Aber ich werde nicht mehr weglaufen!“
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Thilo hatte eine unbändige Wut im Bauch. Auf sich. Er
hätte die Situation viel eher erkennen müssen! Lena hatte sein
volles Mitgefühl. Andererseits war er diesem Paul dankbar.
Thilo wusste, dass Lena jetzt dort angekommen war, wo sie sich
nichts mehr vormachen konnte. Nun musste sie sich der
Situation und den damit verbundenen Problemen stellen. Auch
wenn es sehr schwer für sie war, befand sie sich auf dem
richtigen Weg. Und er würde sie begleiten. Wenn sie ihn ließ.
Daniel! Wie konnte er eine Frau schwängern und sie dann
sitzen lassen? Anna oder Lena. Wie auch immer. Daniel wollte
sich vor der Verantwortung drücken. Auf dem Weg zu ihm,
überlegte sich Thilo mit zu Fäusten geballten Händen
schlagfertige Argumente.
Daniel öffnete die Tür nur einen
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